Fragen Air France Toronto-Unfall

GPRS

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Hi, ich hab mal ne Frage an all die Aviatiker hier. Ich hab grade den Investigation Report von dem ausgebrannten Air France A340 in Toronto gelesen - bin ziemlich beeindruckt, da wird ja extrem gründlich gearbeitet. Beim Lesen sind ein paar Fragen aufgekommen... vielleicht hat ja einer von euch Lust die zu beantworten :)

- Wann sag ich bei Notfällen "Mayday", wann "Pan-Pan" ? Im Bericht wird nur deutlich, dass es da einen Unterschied gibt, nicht welchen.

- Aus welchem Material sind die Slides? Und wie oft bzw. bei welchem Check werden die überprüft? Man gewinnt bei diesem Bericht fast den Eindruck dass die alles andere als verlässliche Begleiter sind :shut:

- Mit dem Ausfahren der Reverser sei die Möglichkeit eines Go-Arounds bei der Landung dann vorbei, meinte der Text. Woran liegt das? Ist also die Entscheidung "Deploy Reversers" dann der ultimative Beschluss, zu stoppen?

- Wie lange dauert es, einen schon auf der Bahn aufgesetzten Flieger von der Landekonfiguration mit Full Flaps in G/A-Konfiguration zu bekommen, also Klappen zurück, Schub hoch, Spoiler rein?

Und nochwas anderes:

Ist Windshear ein zwingender Grund durchzustarten?


Entschuldigt meine Wissbegier... habe leider keinen Piloten in der Family, den ich nerven könnte :)


Gruß aus Berlin
 
Mayday bedeutet, dass sich der Flug in einer unmittelbaren Bedrohung/Notlage befindet und Hilfe benötigt. Die ganze Rettungsarmada/Systematik wird in Bewegung gesetzt.
Pan Pan bedeutet quasi die Vorstufe. Es ist ein ernstes Problem an Bord aufgetreten, aber es besteht noch keine unmittelbare akute Gefahr für den Flug. Der Flug steht somit erstmal 'unter Beobachtung'.

Sind nach Touchdown die Reverser/Speedbrakes (kombiniert) durch die Systemlogik (Aufsetzgewicht) aktiviert worden, wird sehr schnell Fahrt abgebaut. Ein eventuelles schließen der Reverser würde wertvolle Zeit kosten und um wieder auf das benötigte Tempo zu beschleunigen, reicht im Normalfall die verbleibende Bahnstrecke nicht aus. Daher gilt wohl für alle Airlines das gleiche Prinzip. Sind die aktiven Bremsvorgänge wie Reverser erst einmal ausgelöst, bleibt der Flieger definitiv am Boden.

Und wenn vom 'Predicted Windshear System' an Bord eine Warnung im Endanflug below 1500 ft AGL kommt, wird definitiv ein Go Around eingeleitet.
 
Wann sag ich bei Notfällen "Mayday", wann "Pan-Pan" ? Im Bericht wird nur deutlich, dass es da einen Unterschied gibt, nicht welchen.

Das 'Pan-Pan' hört man in der Praxis eigentlich nie, außer in UK und in dazu 'affinen' Staaten. Ich werde mal meine Bücher nach einer hochoffiziellen Definition durcharbeiten. Aber an sich ist das alles etwas halbseiden, ein 'bisschen schwanger' gibt es auch nicht. Entweder hat man ein Problem oder nicht. Und da man den 'Mayday' auch jederzeit wieder aufheben kann, ist eine falsche Scheu davor diesen zu erklären eigentlich nicht angebracht.

Aus welchem Material sind die Slides? Und wie oft bzw. bei welchem Check werden die überprüft? Man gewinnt bei diesem Bericht fast den Eindruck dass die alles andere als verlässliche Begleiter sind :shut:
Die Slides sind aus irgendeinem Kunststoff, der Druck der Auslösevorrichtungen wird täglich kontrolliert, die Rutschen selbst werden bestimmt nach festen Intervallen getauscht und überholt. In der Tat ist es richtig, dass im Falle eines Falles selten alle Rutschen benutzbar sind, u.a. daher kommt auch die Forderung der Behörden, den EVAC-Test nur mit der Hälfte aller Ausgänge zu machen. Dabei muss dann trotzdem nach 90 Sekunden 'die Hütte' leer sein.

Allerdings gibt es einige teilweise interessante Betriebseinschränkungen, die aber nirgendwo offiziell dokumentiert sind. Einige der Kollegen, die das 'Vergnügen' hatten vor einem Jahr gegen KYRILL kämpfen zu dürfen, haben wohl erfahren, dass die Rutschen nur bis 25 Knoten Windgeschwindigkeit getestet sind. Schade eigentlich...:confused:

Mit dem Ausfahren der Reverser sei die Möglichkeit eines Go-Arounds bei der Landung dann vorbei, meinte der Text. Woran liegt das? Ist also die Entscheidung "Deploy Reversers" dann der ultimative Beschluss, zu stoppen?

Ja das ist richtig, nach Reverse-Betätigung gibt es kein Durchstarten mehr. Denn es kann nicht sichergestellt werden, dass alle Reverser wieder symmetrisch zufahren während die Engines bereits wieder hochlaufen. Falls das der Fall ist und evtl. noch in einem aerodynamisch ungünstigen Geschwindigkeitsbereich dann gehts direkt in die Wiese.

Wie lange dauert es, einen schon auf der Bahn aufgesetzten Flieger von der Landekonfiguration mit Full Flaps in G/A-Konfiguration zu bekommen, also Klappen zurück, Schub hoch, Spoiler rein?

Das ist kein Problem, die Klappen werden nur eine Stufe zurückgefahren und wenn die Motoren nicht schon im Leerlauf waren, dann kann es gleich wieder in die Luft gehen. Da dieses Verfahren nicht direkt vorgesehen ist, kann es dabei aber teilweise zu sehr irritierenden Warnungen kommen, da der Flieger dann nicht genau weiss, was jetzt los ist (Landen? Starten? Durchstarten?).

Ein Go-Around aus niedrigster Höhe (z.B. nach den Missed Approach Point) wäre in diesem Fall eher eine 'Balked Landing', die teilweise anderen Verfahren (wg. Hindernissen etc) unterliegt. Aerodynamisch aber harmlos, denn der Flieger ist i.d.R. leichter und schneller am gleichen Punkt der Bahn als bei einem normalen Take-Off. Im sog. 'Lande-Training' während der Umschulung auf einen neuen Flieger wird das sogar routinemäßig gemacht, jeder fliegt 15 Touch-and-Goes, ist eigentlich kein Problem.

Ist Windshear ein zwingender Grund durchzustarten?

Theoretisch ja, in den neuen Fliegern gibt es sogar schon einen entsprechenden Automaten der dann brüllt 'GO AROUND, WINDSHEAR'. Allerdings liegt hier die letzte Entscheidung noch situationsabhängig bei der Crew.

Gruß MAX
 
Fantastisch, vielen Dank! Jetzt weiß ich sogar noch, was ne "Balked Landing" ist, kam darin auch vor.

Hast du, Max, im Zuge deines Type-Ratings ein "echtes" Landetrainining auf dem A320 absolviert? Ich habe im Blog von Golfox gelesen, dass er seine erste Landung auf dem A320 absolviert hat, als schon Passagiere drin saßen - der Rest war simuliert. Nicht dass das ein Grund zur Beunruhigung wäre, aber ist das der gängige Ablauf bei LH?

Frohe Weihnachten euch allen!
 
Nachdem mein Type-Rating auf A320 schon einige Jährchen her ist, durfte ich damals noch ein echtes (als Umschüler jedoch reduziertes) Flugtraining genießen, 6 Platzrunden in Nimes/Südfrankreich.

Inzwischen ist aber die Qualität der Simulatoren nochmals eine Stufe besser geworden und somit wird es immer schwerer, den Kostenpunkt 'Flugtraining' (für das ein Flugzeug einen oder mehrere Tage aus dem Liniendienst freigeschaufelt werden muss nebst aller Folgekosten) intern zu rechtfertigen.

Daher wird momentan nur noch für die FOs in Ausbildung beim ersten Type Rating ein echtes Flugtraining gemacht, für alle anderen Umschulungen wird das sog. Zero-Flight-Training praktiziert, bei dem der Kandidat anstatt einige Platzrunden im Flieger 4 Stunden lang Landungen bis zum 'Erbrechen' in einer zusätzlichen Simulator-Schicht übt.

Wirklich schade, denn das Landetraining war für alle Beteiligten immer ein echtes Highlight... Mittlere Landezeit Eins.Zwo, hüpfen Sie weiter zum Vorfeld;D

Gruß MAX
 
@ GPRS:

- ...die folgenden Signale... bedeuten, daß große oder unmittelbare Gefahr droht und sofortige Hilfe angefordert wird: ... ein durch Sprechfunk gegebenes Signal, das aus dem - vorzugsweise dreimal - gesprochenen Wort MAYDAY besteht. => Notsignal

- ...die folgenden Signale... bedeuten, daß ein Luftfahrzeug auf eine schwierige Lage aufmerksam machen möchte, die es zur Landung zwingt, jedoch keine sofortige Hilfeleistung erfordert: ...ein durch Sprechfunk gegebenes Signal, das aus dem - vorzugsweise dreimal - gesprochenen Wort PANPAN besteht. => Dringlichkeitssignal
 
- Aus welchem Material sind die Slides? Und wie oft bzw. bei welchem Check werden die überprüft? Man gewinnt bei diesem Bericht fast den Eindruck dass die alles andere als verlässliche Begleiter sind :shut:

Hallo,

Die Slides/Rafts bestehen aus einem Kunstoffbeschichteten Kevlar/Nylon Gewebe. Überprüfung der Slides findet bei jedem Dayli bzw. Weekly Check statt. ABER, dabei wird nur der Pressure der Auslöseflasche überprüft. Mehr kann aber uach nicht gemacht werden. Die Slide Packs werden abhängig von Hersteller und Batch alle paar Jahre in den Shop geschickt zur Routineüberprüfung. Dabei wird die Rutsche ausgepackt auf Lecakgen überprüft und neu geschnürt (ist wie ein Fallschirm verpackt). Wenn die Rutschen das Ablaufdatum erreicht haben, also ein Grundüberholung notwendig ist (glaube alle Fünf Jahre), werden diese dann direkt am Flieger während einer Standzeit ausgelöst. Das ist somit die einzige Funktionsüberprüfung die stattfindet.
 
gegebenes Signal, das aus dem - vorzugsweise dreimal - gesprochenen Wort PANPAN besteht. => Dringlichkeitssignal

Dreimal "PANPAN" (= PANPAN-PANPAN-PANPAN) oder dreimal "Pan" (=PAN-PAN-PAN) ? :confused:

Weil mich vor ein paar Wochen ein Freund mal nach dem Ursprung von "Mayday" gefragt hat hier noch als Ergänzung der interessante Hintergrund zu diesem Aussprüchen aus wikipedia:


Das erste internationale Normengremium für das Fernmeldewesen war das CCITT (Comité Consultativ International Télégraphique et Téléphonique) mit Sitz in Genf, dessen Ursprünge auf das Jahr 1865 zurückgehen. Die Verkehrssprache des CCITT war Französisch, deshalb sind viele Schlüsselwörter des Funks französischen Ursprungs.
So ist die Schreibweise MAYDAY nichts anderes als eine englische Verballhornung des französischen «m'aidez!» ([[FONT='Arial Unicode MS','Lucida Sans Unicode','Lucida Grande','DejaVu Sans','TITUS Cyberbit Basic',Code2000,'MS Mincho',Arial,sans-serif]'mɛ:'deː[/FONT]], „helfen Sie mir!“). Entsprechendes gilt auch für die anderen beiden Dringlichkeitsstufen: PAN-PAN («panne-panne») und SECURITE («sécurité»).
Im Standardfranzösisch gibt es «m'aidez!» als alleinstehenden Ausruf in dieser Form nicht, korrekt müsste es «aidez-moi!» heißen. Es ist unklar, ob die Formel «m'aidez» als Kurzform des korrekten «venez m'aider» entstanden ist.
Übersetzt man es Wörtlich, bedeutet Mayday "Maitag".
 
Ohne es jetzt noch genau zu wissen, aber ich bin der Meinung an der AK gelernt zu haben, dass man PanPan auch benutzt, wenn man selbst kein Problem hat, aber z.B. einen Flieger sieht, der gerade ne Außenlandung macht oder einen Waldbrand entdeckt. Kann aber auch sein, dass ich mich irre.
 
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