Überlingen Urteil

gearDown

Mitglied
Guten Morgen in die Runde.

Zum heutigen Ferienbeginn (in Bayern) möchte ich gerne ein politisch/theoretisches Thema auf den Tisch legen.

Gestern wurde die BRD ja gerichtlich zum Verantwortlichen des Überlingen-Unglücks erklärt.
Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, die Begründung ist allerdings ganz interessant. Darin heißt es, die Luftraumüberwachung ist nach dem Grundgesetzt eine hoheitliche Aufgabe, und somit war die Übertragung dieser Aufgabe für das Gebiet nördlich des Bodensees an die schweizerische Skyguide nicht zulässig.

Ich kann mir gut vorstellen, sollte das Urteil rechtskräftig werden, dass sich so manches dbzgl. ändern wird. Ich denke da u.a. an den Anflug in Salzburg, wo österreichische Lotsen auch Luftraum über dem Hoheitsgebiet der BRD kontrollieren. Sollte dort mal etwas passieren, stünde der Verantwortliche schnell fest ;) .

Mich würde mal Eure Meinung dazu interessieren.
Ich denke eine Luftraumüberwachung exakt der Bundesgrenze verlaufend dürfte wohl wenig praktikabel sein, oder?

Oder wird sich das ganze Problem (so es denn kommt) mit der Einführung einer einheitlichen europ. Flugsicherung erschlagen lassen?

Schöne Ferien,
Robert
 
@gearDown
eine wirklich gute und berechtigte Frage !
Nach dem (vorläufigen) Urteil haben sich mir die Nackenhaare aufgestellt.
Hätte dieser Richterspruch bestand, wären nicht nur sämtliche Bemühungen um einen SES - Single European Sky in Frage gestellt, sondern auch viele bereits bestehende Verfahren, wie bspw. dass bei nord-süd Überflügen über Österreich direkt von München Radar an Padua (Italien) abgegeben wird, weil es einfach sinnvoll ist.
Meiner Meinung ein isoliertes und rein theoretisches Urteil das in nächster Instanz zumindest relativiert wird.
Und ich denke auch, dass die eigentlich geregelte und funktionierende Zuständigkeit mit Skyguide kaum mit dem kausalen Hergang des Unfalls zu tun hatte.
Das Urteil ist schlicht unbegreiflich. Mit ihm wären ganz nebenbei auch die momentanen Umwälzungen der europäischen Flugsicherungen zunichte gemacht, die Zuständigkeiten grenzüberschreitend auszuschreiben und somit Wettbewerbsmäßig neu zu regeln. (Was natürlich nicht nur positiv ist)
Es könnte (rein theoretisch und nicht sehr wahrscheinlich) der deutsche Luftraum auch aus der Ukraine überwacht werden. Sollten Angebote vorliegen und Mindestanforderungen stimmen, leider nicht ganz von der Hand zu weisen.
Auf der anderen Seite, könnte die DFS auch Regionen wie die Schweiz, Österreich, Ungarn etc. mit übernehmen.
Ich weiß, alles sehr theoretisch, aber eben auch nicht ganz von der Hand zu weisen...
 
Zuletzt bearbeitet:
@MUCFLYER:
Sehr interessante Gedankengänge.
Vor allem die Infragestellung des SES durch das Urteil wäre ein Wahnsinn.

Bin mal gespannt was die Meinung unserer Mitglieder bei den entspr. Berufsgruppen ist zu diesem Thema ist...
 
SES bedeuted zunächst mal: einheitliche Standards und Lizenzen. Und daran ändert auch dieses Urteil nichts.

Dass in der europäischen Flugsicherungswelt nun der Wettbewerb ausbrechen soll, halte ich immer noch für ein Gerücht. So wurde zum Beispiel die DFS schonmal für die nächsten 20 Jahre damit beauftragt, Flugsicherung im deutschen Luftraum zu betreiben. Und andere Staaten sind ja mitunter noch viel empfindlicher, wenn's darum geht, solche Aufgaben an ausländische Firmen abzugeben.

Wenn nun allerdings auch die Gerichte feststellen, dass Flugsicherung eine hoheitliche Aufgabe ist, frage ich mich, was aus dem geplanten Verkauf der DFS an private Investoren wird.
 
zur Info vorweg: Marek Kluzniak ist der Pressesprecher der GdF

Gewerkschaft der Flugsicherung gegen Privatisierung der Flugsicherung
Moderation: Gerd Breker

Der Flugsicherungs-Experte Marek Kluzniak hat sich gegen eine Privatisierung der deutschen Flugsicherung ausgesprochen. Er sehe keine Einsparmöglichkeiten mehr, "ohne dass man wirklich dann an die Grundfesten der Sicherheit gehen würde". Das neu gegründete Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, das die private Flugsicherungsfirma überwachen solle, hält Kluzniak für ein "Feigenblatt".

Gerd Breker: Der Staat kann seine hoheitlichen Aufgaben delegieren, aber er kann sich nicht aus der Verantwortung schleichen, so eine Kurzzusammenfassung des gestrigen Urteils zum Absturz von Überlingen am Bodensee. Die Bundesrepublik hatte sich einer hoheitlichen Aufgabe entledigt, indem es die Kontrolle des Luftraums über Baden dem Schweizer Unternehmen Skyguide übertrug, ohne es aber hinlänglich zu beaufsichtigen. In der Nacht des Absturzes waren das Kontrollzentrum unterbesetzt und die Warnsysteme zum Teil ausgeschaltet. Ein Schlendrian, den sich die deutschen Flugsicherer nun zurechnen lassen müssen. Am Telefon bin ich verbunden mit Marek Kluzniak, von der Gewerkschaft der Flugsicherung. Guten Tag, Herr Kluzniak.

Marek Kluzniak: Schönen guten Tag, Herr Breker.

Breker: Hat Sie persönlich das Urteil überrascht, oder hatten Sie es genau so erwartet?

Kluzniak: Also von Überraschung kann auf unserer Seite gar keine Rede sein. Wir haben schon seit langer Zeit darauf hingewiesen, dass hier, durch den fehlenden Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der Schweiz, Ärger und natürlich auch die Verantwortung zu befürchten steht, für die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben sogar schon vor zwei Jahren auf der AERO dazu eine Pressekonferenz herausgegeben, mehrere Beiträge in unseren Mitgliederzeitschriften dazu veröffentlicht. Also für uns ist es keinesfalls überraschend.

Breker: Wird dieses Urteil von gestern Konsequenzen haben, auf die geplante Privatisierung der Flugsicherheit hier bei uns?

Kluzniak: Das ist eine gute Frage, ich fürchte allerdings, nein. Die Bundesrepublik, oder die Bundesregierung in dem Fall, wird sich wohl nicht davon abhalten lassen, die Deutsche Flugsicherung trotzdem zu verkaufen. Zum einen braucht der Staat dringend das Geld, das heißt, auch das letzte Tafelsilber wird momentan gerade verkauft. Und zum anderen ist man eher bereit, das Grundgesetz zu ändern und diese hoheitliche Aufgabe aus dem Grundgesetz entfernen zu lassen, als dass man hier noch einmal umdenkt.

Breker: Dass private Unternehmen auch immer unter einem gewissen Kostendruck stehen, ist das ein Argument, was man gegen eine Privatisierung der Flugsicherheit einbringen kann, oder kann man es anders abdecken?

Kluzniak: Nein, ich denke nicht, dass man hier dieses Argument abschwächen kann, in irgendeiner Form. Es ist so, dass die Deutsche Flugsicherung ja bereits seit 1993 organisationsprivatisiert ist. Das heißt, wir können wie eine normale GmbH handeln, die allerdings zu 100 Prozent dem Staat gehört. Dadurch ist uns wirtschaftliches Handeln, wirtschaftliches Denken, in der Firma ermöglicht und davon wurde auch reichlich Gebrauch gemacht. Das heißt, die Firma wurde optimiert, Kosteneinsparungspotentiale wurden analysiert und umgesetzt. Insofern sind keine größeren Einspareffekte für die Zukunft mehr zu erwarten. Und, ja, jetzt, wenn man als Finanzinvestor dort eine größere Summe investiert - man spricht ja von Beträgen zwischen 800 Millionen und 1,2 Milliarden, die hier erwartet werden vom Finanzministerium - wenn man als solcher Investor natürlich dann einen Return on Investment haben möchte, dann fragen wir uns als Fluglotsen doch, wo sollen diese Einsparungen vorgenommen werden, damit man hier noch großartig Geld rauskriegen kann. Also wir sehen da keine Möglichkeit, ohne dass man wirklich dann an die Grundfesten der Sicherheit gehen würde.

Breker: Kann der Staat vielleicht durch Aufsichtsauflagen es erreichen, dass auch private Unternehmen hinreichend die Sicherheit der Fluggäste garantieren können?

Kluzniak: Ja, das versucht man natürlich, durch das Gesetz und durch die Gründung eines neuen Aufsichtsamtes, Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. Die, ja, ich sage mal, die Entstehungsgeschichte lässt hier nichts Gutes erhoffen. Zum einen ist das ganze schon furchtbar spät dran, zum anderen gibt es überhaupt kein genügend ausreichendes und sachkundiges Personal, um hier die Stellen zu besetzen. Und im Übrigen wird auch im Hintergrund schon ganz kräftig daran gearbeitet, dass dieses Aufsichtsamt einzig und allein ein Feigenblatt ist, so sind zumindest unsere Erkenntnisse. Also eine wirkliche Kontrollfunktion ist hier in keinster Weise zu erwarten, nach unserer Ansicht. Und das sehen wir schon mit ganz, ganz großer Sorge.

Breker: Man darf ja bei alledem nicht vergessen, dass es um die Sicherheit der Fluggäste geht. Und Fluggäste gibt es immer mehr, es wird immer mehr geflogen. Kann sich eigentlich so ein Fall, wie der von Überlingen, heute noch einmal wiederholen?

Kluzniak: Also wir wollen es natürlich alle nicht hoffen. Nichtsdestotrotz, wer behauptet, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen könnte, der hat entweder keine Ahnung von der Materie, oder ist hoffnungsloser Optimist. Man kann es wirklich nie ganz ausschließen. Ich denke, wir wissen alle, hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben, in einem solchen System. Nur wir sollten eben alles daran setzen, an diese 100 Prozent so nah wie möglich heranzukommen und nicht die Sprüche gelten lassen, wie sie heute gerne zitiert werden: Sicherheit ja, aber nicht um jeden Preis. Wenn ich das höre als Beteiligter dieses Systems, das Sicherheit produziert, dann läuft mir wirklich ein Schauer kalt den Rücken herunter.

Breker: Im Deutschlandfunk war das Marek Kluzniak, von der Gewerkschaft der Flugsicherung. Herr Kluzniak, danke für dieses Gespräch.

Kluzniak: Vielen Dank.
 
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