FRA fällt hinter MUC
Sorgen um die Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor
Frankfurt am Main leidet unter der Strukturkrise der Banken. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, Büros stehen leer, Firmen haben ihre Sitze verlegt. Die Übernahmeschlacht um den Pharmahersteller Aventis hat die Sorgen um die Arbeitsplätze noch gesteigert.
Ko. Frankfurt, im Mai
Am äusseren Erscheinungsbild von Frankfurt hat sich nichts geändert. Der wiederaufgebaute alte Stadtkern um Dom, Paulskirche und das Rathaus, den Römer, liegt, von weitem kaum noch erkennbar, ganz im Schatten von 80 Hochhäusern, zumeist Bank- und Bürogebäuden. Alsbald werden es gegen 100 sein. Die Skyline von «Mainhattan», so stellt die Stadtverwaltung im Stile eines Werbeprospektes fest, spiegle die wirtschaftliche Dynamik wider. Immer noch zählt die Stadt 315 Banken. Demnächst wird ein neuer Bürokomplex hinzukommen. Am anderen Ende der City, am Osthafen, wird der Neubau der Europäischen Zentralbank entstehen. Jeder dritte Frankfurter hat keinen deutschen Pass. Die Stadt ist dank Banken und ihrem Flughafen, dem grössten auf dem europäischen Kontinent, unverändert Deutschlands Pforte zur Welt und zugleich Einfallstor für Wirtschaftsflüchtlinge von weit her.
Widersprüchliche Beraterstudien
Doch die Hochhauskulisse trügt. Viele Büros stehen leer; Banken suchen Untermieter. Dass in der Stadt auf 650 000 Einwohner 569 000 Arbeitsplätze kommen, ist kein Zeichen für Wohlstand. Frankfurt ist eine typische Pendlermetropole. Experten sehen im Fehlen regionaler Standortpolitik einen der Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang. Zwar versichert Oberbürgermeisterin Petra Roth, die Region habe ein enormes Zukunftspotenzial. Die Urteile der Fachwelt indes driften weit auseinander. Vor Jahresfrist erschreckten die Berater von McKinsey Wirtschaft und Politik mit der Prognose, als Ergebnis der augenblicklichen Krise werde sich der Finanzplatz Frankfurt auflösen.
So kam der Stadt Anfang April eine Studie von Mercer Consulting in London wie gerufen, die Frankfurt in puncto Lebensqualität weltweit auf Platz 6 ansiedelt. Die Stadt liege nur 1,5 Punkte hinter Zürich, stellte Roth erfreut fest. Unter Kaufkraft-Aspekten jedoch muss sich die Rhein- Main-Region nach Angaben des Statistischen Amtes der EU mit Rang 12 begnügen, nachdem sie vor acht Jahren noch Platz 3 eingenommen hat. Im nationalen Rahmen haben Hamburg und Oberbayern dem Rhein-Main-Gebiet den Rang streitig gemacht. Die Rolle des Wachstumsführers hat Frankfurt an München abgegeben.
Vor zehn Jahren hatte man sich die Entwicklung noch ganz anders vorgestellt. Für die Europäische Zentralbank war Frankfurt bereit, im Zuge des Umzugs von Regierung und Parlament nach Berlin Behörden wie den Bundesrechnungshof an Bonn abzugeben. Heute löst der Plan von Innenminister Schily, das Bundeskriminalamt von Wiesbaden nach Berlin zu verlegen, laute Empörung aus. Die Hoffnung, spätestens mit der Einführung des Euro den Finanzplatz London überholen zu können, hat sich nicht erfüllt. Die Existenz der EZB hatte kaum Einfluss auf den Bankenstandort. Noch 2001 waren im Finanzsektor 80 000 Menschen beschäftigt. Inzwischen ist die Zahl der Beschäftigten auf rund 70 000 geschrumpft, Tendenz weiter fallend. Allein die vier privaten Grossbanken haben in Deutschland 17 000 Stellen abgebaut. Innerhalb eines Jahres ist die Arbeitslosigkeit in Frankfurt um 1 Prozent auf über 10 Prozent gestiegen. Das Land Hessen, einst Deutschlands Modellregion, steht mit 8,3 Prozent Arbeitslosigkeit nach Bayern, Baden- Württemberg und Rheinland-Pfalz bundesweit auf Platz 4.
Optimistische Landesregierung
Hessens Ministerpräsident Roland Koch sieht indes keinen Grund zur Panik. Beim Wirtschaftswachstum und bei der Staatsverschuldung erreiche das von ihm regierte Land immer noch Platz 3, und auf einem der ersten drei Plätze wolle es auch in Zukunft bleiben. Die Banken befänden sich in einer Strukturkrise, die das Konjunkturtief massiv angeheizt habe, sagt Koch. Jetzt aber, so glaubt er, sei man auf der Talsohle angekommen. Die klassischen Banken reduzierten ihr Personal, bei anderen Finanzdienstleistern aber steige die Beschäftigung. «Die Deutsche Börse hat mal ein paar hundert Beschäftigte gehabt, heute hat sie dreieinhalbtausend.»
Als nachteilig für Frankfurt gilt, dass ausländische Experten in London nach wie vor Steuerprivilegien geniessen. Drei Jahre habe der deutsche Finanzminister Eichel nun Zeit gehabt, dies auf EU-Ebene zu ändern, kritisiert Koch und fordert, dass solche Vergünstigungen nun auch in Frankfurt eingeführt werden. Es könne doch nicht sein, «dass wir dauerhaft leiden, weil die EU nichts zustande bringt». Zwar ist die Zahl der Banken und ihrer Beschäftigten rückläufig; schwerer noch wiegt die Abwanderung von Firmenzentralen. Die Deutsche Bank wird, seit der Schweizer Josef Ackermann die Leitung übernahm, zum Teil von London aus gelenkt. Über die Geschicke der Dresdner Bank wird, seit sie vom Allianz-Konzern übernommen wurde, in München entschieden. Alle privaten Banken gelten zudem als Übernahmekandidaten.
Der Streit um Aventis
Drei Viertel ihrer Wirtschaftskraft schöpft die Region aus dem Dienstleistungsbereich, der jetzt nicht mehr wettmachen kann, was an industrieller Kapazität verloren geht. Zuletzt ist die traditionsreiche Metallgesellschaft aus dem Adressbuch verschwunden; nach einer Fusion wurde der Firmensitz nach Bochum verlegt. An die Farbwerke Hoechst, vormals der weltgrösste Chemie- und Pharmahersteller, erinnert nur noch ein Industriepark gleichen Namens. Übrig geblieben ist dort die Arzneimittelsparte, die im französisch- deutschen Pharmakonzern Aventis aufgegangen ist. Wie lange dies noch so sei, fragen Management, Belegschaft, Stadt und Land besorgt. Die Übernahme von Aventis durch den französischen Konkurrenten Sanofi-Synthélabo hat die Region in helle Aufregung versetzt. Denn am Main-Ufer bei Frankfurt ist in den letzten Jahren einer der produktivsten Forschungsstandorte weltweit entstanden. 8000 Arbeitsplätze stehen zur Disposition. Die Chemiegewerkschaft BCE befürchtet vor allem ein Abwandern der Forschung nach Frankreich.
Ministerpräsident Koch ermahnte deshalb Sanofi bereits, seine Versprechungen einzuhalten. Manager und Belegschaft hatten sich in den Wochen der Übernahmeschlacht über die nationalistischen Töne der Regierung in Paris beschwert, die Aventis als rein französisches Unternehmen für sich reklamiert und dabei den deutschen Anteil unterschlagen habe. Während die deutsche Regierung dem tatenlos zugesehen habe, monierte Koch, habe Paris die Übernahme zu seiner Sache gemacht. In jedem Fall dürfte der Streit bei der Belegschaft in Frankfurt Narben hinterlassen.