Frage zu Flex Takeoff / Derated Takeoff

McMUC

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Hallo liebe Forenkollegen,

ich habe nun seit geraumer Zeit hier nichts mehr geschrieben, sorry for that, aber nun soll es wieder einmal soweit sein.

Ich habe mein Thema hier bei den Fragen an die Piloten platziert, weil ich meine dass diese am nächsten mit der Thematik konfrontiert sind. Gerne sollen sich aber auch alle anderen angesprochen fühlen die darüber Bescheid wissen und sich einbringen können und wollen.

Es geht um den Unterschied zwischen Flex Takeoff und Derated Takeoff. Was genau passiert da, warum macht man das und wann nimmt man das eine und wann das andere.

Ich schreibe einfach mal was ich darüber weiß oder glaube zu wissen. Bitte habt keine Hemmungen mich zu korrigieren wenn ich nicht ganz auf Kurs bin. Mir geht es darum das ganze zu verstehen so gut es geht. Vielen Dank schon einmal an alle die sich hier beteiligen.

Flex Takeoff:

Soweit ich es verstehe sagt man der elektronischen Triebwerksteuerung (FADEC) sie soll sich vorstellen heute hätten wir z.B. 40 Grad Celsius Außentemperatur. Weil die meisten Triebwerke Flat Rated bis 30 Grad sind, fällt die Leistungskurve anschließend ab und bei sagen wir 40 Grad sind nicht mehr 100% des Schubes verfügbar sondern z.B. 90% (im Vergleich zu 30 Grad). Die FADEC sagt sich also: Bei 40 Grad kann ich nur 90% Leistung erreichen, aber weil wir in Wirklichkeit 30 Grad haben und ich das auch weiß, werde ich nur 90% liefern in dem ich weniger Drehzahl liefern werde, also das Gaspedal nicht ganz durchdrücke.

Man macht das wenn nicht der volle Schub gebraucht wird, weil wenig Payload, wenig getankt wegen kurzer Flugzeit, lange Startbahn verfügbar usw. und man schont dabei die Triebwerke für längere Lebensdauer. Soweit ist alles klar wenn das so passt.

Derated Takeoff:

Hier wird es für mich etwas undurchsichtiger. Man gibt auch hier Daten ein die zu einer Reduzierung des Schubes führen werden. Im Ergebnis könnte das sogar auf die gleiche Leistung wie beim Flex Takeoff hinauslaufen, aber aus einem völlig anderen Grund. Man sagt der FADEC auch nicht, heute ist es heiß, sondern man sagt ihr daß heute nicht der 2-Liter Motor eingebaut ist, sondern der 1,4er mit 140 statt 200 PS. Soweit ich das verstanden habe geht es um die Steuerbarkeit des Flugzeugs beim Ausfall eines Triebwerks. Am Boden nennt sich das VMCg, darauf habe ich mein Augenmerk gerichtet. Wenn mir bei sagen wir 100 kts der linke Motor versagt, dann ist ein schwächerer intakter Motor einfacher abzufangen als ein starker Motor was das Ausbrechen des Flugzeuges um die Hochachse betrifft. Soweit so gut. Und es hängt mit einer eventuell kurzen Startbahnlänge zusammen, weil die Restlänge nach erreichen von V1 höher wird wenn man V1 früher erreichen kann. Und somit kann man das MTOW etwas anheben weil man aufgrund der früheren V1 mehr "Bremsweg für den Fall der Fälle" herausholen konnte.

Jetzt frage ich mich wie das zusammenpasst. Damit ich V1 früher erreiche müsste die doch eigentlich niedriger sein. Weil ich doch auch weniger Schub gebe. Ich gehe aber davon aus dass man bei höherem Gewicht eine höhere Geschwindigkeit benötigt um den notwendigen Auftrieb zu bekommen.

Irgendwie fehlt mir glaube ich noch ein Puzzlestück. Ich bin für jeden Hinweis dankbar, eventuell mache ich einen Gedankenfehler ...?

Wie machen denn die Piloten das? Wann wird Flex gewählt, wann nimmt man Derated Takeoff? Ich habe irgendwo gelesen man nimmt das so wie es das Performance Programm ausgerechnet hat und fragt nicht lange warum man heute Flex eingibt und gestern Derated hatte. Ist das denn so? Ob ich der FADEC sage: Bitte 10% weniger als 100% oder ob ich sage, heute ist es so heiß dass es nur 90% werden, wo ist der Unterschied? Nutzen denn überhaupt alle Flugzeuge beide Verfahren?

Ihr seht schon, Fragen über Fragen ...

Danke und Gruß:

McMUC
 
Servus McMuc,
Ein spannendes und kompliziertes Thema, das du da ansprichst. Mein Performance Kurs ist schon ein paar Tage her, deswegen keine Gewähr auf das, was ich schreibe.
Grundsätzlich hast du das allermeiste oben ja schon geschrieben. Deswegen will ich nur auf das noch fehlende Puzzle Teil eingehen. Grundsätzlich bezieht sich mein ganzes Wissen auf B777 mit GE Triebwerken und A320 mit CFM. Wie es bei anderen Flugzeugen/ Triebwerken aussieht, kann ich dir nicht sagen.
Der große Vorteil eines derate liegt in der Tatsache, dass es ein eigenes zertifiziertes thrustrating ist. Man macht dem Triebwerk also nichts vor, sondern wie du es so schön beschrieben hast, nimmt heute nur den 1,4l. Das hat übrigens nicht nur Auswirkungen auf Vmcg, sondern auch Vmca in der Luft. Jetzt kommt das Performance Tool für einen reinen flex takeoff z.B. zu dem Schluss, dass es eigentlich eine tiefere V2 nehmen könnte. Das geht aber nicht, weil es dann mit einer zu niedrigen vmca anstehen würde. Deshalb benötigt es eine größere V2 und entsprechend mehr Piste. Weil es jetzt mehr Piste braucht, um die höhere Geschwindigkeit zu erreichen, muss auch die V1 höher werden weil ich die Differenz sonst mit nur einem Triebwerk abdecken müsste, was deutlich mehr Distanz benötigt. Deshalb kann ein derate niedrigere V-speeds zur Folge haben.
Weil es ein eigenes thrustrating ist und eigene Vmca hat, darf ich es z.b. im engine out Fall auch nicht einfach rausnehmen, was beim flex möglich ist.
Ein weiterer Vorteil vom derate ist, dass ich ihn im Gegensatz zum flex auch auf kontaminierten (also verschneiten oder sonst was) Pisten anwenden kann.
Wie du oben schon geschrieben hast, kümmert sich um all das aber das Performance Tool. Man gibt Wetterverhältnisse, Gewicht usw. ein und der Computer wird in den meisten Fällen eine Mischung aus beiden ausspucken (z.B. derate 1, selected temp 36). Wollen wir das nicht, können wir entsprechende Filter einstellen.
Manche Flugzeuge/ Triebwerke, wie der A320 haben auch gar kein derate, sondern nur flex.

Ich hoffe, ich konnte ein paar Fragezeichen beseitigen.
 
Hallo Flo2429,

erst einmal vielen Dank für Deine schnelle und ausführliche Antwort.
Ich muss aber noch einmal nachfragen, es ist in der Tat ein kompliziertes Thema. Ich schreibe meine Fragen einfach mal zwischen Deine Textstellen und hoffe das das so passt.
Jetzt kommt das Performance Tool für einen reinen flex takeoff z.B. zu dem Schluss, dass es eigentlich eine tiefere V2 nehmen könnte. Das geht aber nicht, weil es dann mit einer zu niedrigen vmca anstehen würde. Deshalb benötigt es eine größere V2 und entsprechend mehr Piste.
Ich habe mir angeschaut was es mit der VMCa auf sich hat, aber ab wann geht denn die VMCg in VMCa über? Ist das sofort nach Lift-off noch vor V2 oder gilt das ab einer definierten Höhe oder wie stelle ich mir das am besten vor? Und liegen V1 und V2 immer etwa gleich weit auseinander oder kann sich das auseinanderzerren?
Ich versuche das mal mit Zahlen, da kann ich mir das immer etwas besser vorstellen. Sorry wenn die Werte nicht unbedingt genau sind, sie sollen nur bei der Darstellung helfen.
A320, 70t actual TOW (bisschen Rest übrig gelassen für später mit dem erhöhten MTOW bei Derated T/O), irgendwo auf der Welt, berechnete V1 bei Full Thrust = 142kts, V2 = 145kts, VMCg = ??? (irgendwas kleiner V1, vielleicht 140kts oder 135kts?), VMCa = ???
nun Flex T/O, 40 Grad, immer noch 70t, lange Runway, Restbremsweg jede Menge verfügbar. Wie könnten die Werte nun aussehen?
Und wie würde sich das in etwa mit Derated T/O verhalten? Sind denn die Geschwindigkeiten bei 90% Thrust mit Flex Takeoff identisch zu 90% Thrust mit Derated Takeoff? Das mit dem möglichen höheren TOW lasse ich mal noch in der Schublade bis ich das hier auseinandergepuzzelt habe.
Ich denke das werden mehrere Etappen bis zum Ziel, aber wer sollte mir da besser weiter helfen können als dieses Forum und seine Mitglieder ...
Weil es jetzt mehr Piste braucht, um die höhere Geschwindigkeit zu erreichen, muss auch die V1 höher werden weil ich die Differenz sonst mit nur einem Triebwerk abdecken müsste, was deutlich mehr Distanz benötigt. Deshalb kann ein derate niedrigere V-speeds zur Folge haben.
Weil es ein eigenes thrustrating ist und eigene Vmca hat, darf ich es z.b. im engine out Fall auch nicht einfach rausnehmen, was beim flex möglich ist.
Ein weiterer Vorteil vom derate ist, dass ich ihn im Gegensatz zum flex auch auf kontaminierten (also verschneiten oder sonst was) Pisten anwenden kann.
Wie du oben schon geschrieben hast, kümmert sich um all das aber das Performance Tool. Man gibt Wetterverhältnisse, Gewicht usw. ein und der Computer wird in den meisten Fällen eine Mischung aus beiden ausspucken (z.B. derate 1, selected temp 36). Wollen wir das nicht, können wir entsprechende Filter einstellen.
Manche Flugzeuge/ Triebwerke, wie der A320 haben auch gar kein derate, sondern nur flex.

Ich hoffe, ich konnte ein paar Fragezeichen beseitigen.
Einige ja, danke. Aber es ist wirklich nicht ganz einfach. Und auch nicht optimal das hier hin und her zu schreiben. Aber ich gebe mein bestes. Ich versuche mich Stück für Stück heran zu arbeiten, vielleicht klappt es ja. Danke schon mal an alle die sich hier beteiligen und natürlich an Flo2429.
 
Also, ich habe gerade noch folgende Information gefunden:

"V1 muss gleich oder größer als Vmcg sein und darf nicht größer als Vr oder Vmbe sein"
Hab ich verstanden. Wenn ich bei oder kurz vor V1 abbrechen muss dann muss VMCg ausreichen um mit dem Rudder ausgleichen zu können.
"Vr muss gleich oder größer als Vmca sein"
Das war ein Teil meiner offenen Punkte. Aber in Nachhinein kommt mir das absolut logisch vor. Selbst in 10 Fuß Höhe (noch vor Erreichen von V2) muss man einen ausgefallenen Motor kompensieren können. Mir ist bloß nicht ganz klar warum Vr größer als VMCa liegen kann (falls das korrekt ist). Damit wäre VMCa bereits on Ground vorhanden und das widerspricht irgendwie der Bezeichnung.
"V2 muss gleich oder größer als Vmca sein und Vs"
Das klingt wiederum verständlich. Damit man auch sehr kurz nach dem Rotieren sicher "geradeaus" fliegen kann und sich um sicheres Steigen kümmert.

Bitte korrigiert mich wenn etwas nicht stimmt. Ich muss das mal eine Weile setzen lassen und melde mich in den nächsten Tagen wieder. Gerne bin ich für weitere Erklärungen offen und hoffe hier niemanden zu langweilen. Und nochmals danke für alle die mir weiterhelfen können.
 
Zuletzt bearbeitet:
Völlig richtig. Da bei Vr das Bugrad abhebt, bleiben nur noch die aerodynamischen Steuerflächen, um directional control zu behalten. Somit kommt ab dem Moment Vmca zum tragen.
Dein oberes Beispiel ist pauschal leider nicht zu beantworten. Dafür spielen zu viele Komponenten mit rein. Nicht umsonst rechnet die Kiste teilweise mehrere Sekunden, um auf ein Ergebnis zu kommen. Aber grundsätzlich können die Werte unterschiedlich ausfallen, ob flex oder derate. Bei einer Probeberechnung gerade waren die speeds z.b. beim derate um 8kts über denen vom flex bei sonst gleichen Ausgangswerten. Das Ergebnis zeigt aber nur den most limiting factor an. Es kann sein, dass der zweitelimitierenste direkt dahinter liegt und bei der kleinsten Änderung zum tragen kommt und zu völlig anderen Ergebnissen führt.
Noch zum Thema Verhältnis V1 zu Vr. Der Abstand variiert hier durchaus, da das eine sehr vom Bremsverhalten beeinflusst wird und das andere nicht. Bei nasser Piste wird V1 also niedriger sein, während Vr sich nicht verändert. Das ganze wird zu einen höheren thrustrating führen, da ich in dem Fall längere Zeit mit nur einem Triebwerk beschleunigen muss, um Vr zu erreichen.
 
Völlig richtig. Da bei Vr das Bugrad abhebt, bleiben nur noch die aerodynamischen Steuerflächen, um directional control zu behalten. Somit kommt ab dem Moment Vmca zum tragen.
Das klingt doch mal überzeugend :)
Dein oberes Beispiel ist pauschal leider nicht zu beantworten. Dafür spielen zu viele Komponenten mit rein. Nicht umsonst rechnet die Kiste teilweise mehrere Sekunden, um auf ein Ergebnis zu kommen. Aber grundsätzlich können die Werte unterschiedlich ausfallen, ob flex oder derate. Bei einer Probeberechnung gerade waren die speeds z.b. beim derate um 8kts über denen vom flex bei sonst gleichen Ausgangswerten. Das Ergebnis zeigt aber nur den most limiting factor an. Es kann sein, dass der zweitelimitierenste direkt dahinter liegt und bei der kleinsten Änderung zum tragen kommt und zu völlig anderen Ergebnissen führt.
Danke. Noch etwas zum Rumkauen aber wenn man die Fakten schon mal kennt braucht man sich über andere Dinge nicht mehr unnötig den Kopf zerbrechen und falschen Spuren folgen.
Noch zum Thema Verhältnis V1 zu Vr. Der Abstand variiert hier durchaus, da das eine sehr vom Bremsverhalten beeinflusst wird und das andere nicht. Bei nasser Piste wird V1 also niedriger sein, während Vr sich nicht verändert.
Wie kommt das mit der niedrigeren V1 bei nasser Bahn? Oder müsste man sagen: Sie muss niedriger sein? Was bringt denn genau eine niedrigere V1? Mehr Reststrecke zum Bremsen? Das könnte ich mir vorstellen. Wird die V1 denn auch verringert bei nasser Bahn auf einer 4000 Meter Piste oder nur wenn die Runway Länge knapp werden könnte? Danke schon mal für die Antworten. Das hilft mir sehr weiter.
Das ganze wird zu einen höheren thrustrating führen, da ich in dem Fall längere Zeit mit nur einem Triebwerk beschleunigen muss, um Vr zu erreichen.
Interessant ...
Vr ist also gleich, auch mit reduziertem Schub. Macht auch irgendwie wieder Sinn, weil Vr die Geschwindigkeit ist um mein Gewicht abheben zu lassen. Und da brauche ich nun mal eine bestimmte Vr, unabhängig von der V1, nasser oder trockener Bahn. Die Klappenstellung ist für den Start immer gleich, egal ob leeres Flugzeug oder voll beladen?
Jetzt komme ich noch an den Punkt, wo man mit Derated Takeoff das Gewicht erhöhen kann (keine Ahnung um wie viel es da etwa geht). Ich hatte gelesen dass man mit Derated Takeoff bei nasser bzw. kurzer Bahn gegenüber dem "normalen" Thrust Setting das MTOW erhöhen kann, so zumindest hatte ich das verstanden. Man macht das dann wenn die Restbremsstrecke nach V1 die einschränkende Komponente ist. Nun scheint mir klar dass eine frühere V1 genau dort etwas bringen kann. Ich muss früher entscheiden ob ich den Start abbreche. Damit bin ich einerseits bei V1 langsamer und zusätzlich tritt das nach weniger verbrauchter Startstrecke ein. Und Vr ändert sich nicht, gleiche Speed, gleiche Stelle.

Ich bin noch nicht ganz durch, sorry. Aber den letzten (kleinen) Rest würde ich gerne nächstes mal machen wenn ich das hier verdaut habe und ich weiß ob alles bis hierher richtig ist. Nochmals vielen Dank schon vorweg ... :cool:
 
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Die V1 muss reduziert werden, weil durch die nasse Bahn die Bremsleistung nachlässt. Um die gleiche Masse abzubremsen braucht es deshalb mehr Piste. Aus Performance-Sicht ist das ein Nachteil. Man geht immer von einen engine failure aus. Bei niedriger V1 und gleicher Vr muss also länger mit nur einem Triebwerk beschleunigt werden. Oder vielleicht verständliche, wenn man sagt, man beschleunigt jetzt kürzer mit beiden Triebwerken.
Inwiefern ein derate die Performance verbessern soll, leuchtet mir nicht ein. Ich nehme ja Leistung weg. Das muss zwangsläufig eine Verschlechterung nach sich ziehen.
Grundsätzlich versucht das Tool immer einen balanced takeoff zu erreichen. D.h. es tariert alle Werte so aus, dass im stop case das Flugzeug exakt am Pistenende zum stehen kommt und im go case exakt 35ft über den Baum am Pistenende steigt.
Das flapsetting variiert dabei und hängt nicht nur von der Pistenlänge, sondern auch von den Gegebenheiten im climbout ab. Wie hoch sind da Hindernisse vorhanden? Vereinfacht gesagt ist bei limitierender Pistenlänge das flapsetting eher höher, bei einem limitierenden climbout sector eher niedriger. Das hat den Grund, dass ich mit niedrigem flapsetting zwar einen längeren takeoff run habe, dafür später aber eine bessere Steigleistung. Die Kurve wird ab einem gewissen Abstand zur Piste deshalb die Kurve des höheren flapsettings übersteigen und besser geeignet sein, wenn mein Berg weiter hinten steht.

Jetzt hast du dann bald wirklich einen gesamten Performance Kurs absolviert.
 
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