Schubumkehr-Aktivierung

Ich habe mich im Rahmen meiner Recherche zum Umkehrschub die letzten Tage auch mit dem Lauda-Inflight-Deployment beschäftigt. Max hat nochmals darauf hingewiesen, und ich hatte es an anderer Stelle schon mal erwähnt: Es war selbst dem Cheftestpilot der B767 nicht möglich, das Flugzeug zu recovern! Denen, die in so einer Situation die "sofortige" Abschaltung sämtlicher Triebwerke in Erwägung ziehen, seien nochmals die S. 25 f. des Untersuchungsberichts nahegelegt, auf den ich vorher verwiesen hatte. Dort wird die Simulation eingehend beschrieben.

Ich stelle es mir nur so vor: Wie in aller Welt soll die Cockpitbesatzung 1. SOFORT an das Herunterfahren der Triebwerke denken und 2. das Herunterfahren SOFORT auch in die Tat umsetzen, wenn das Flugzeug plötzlich und völlig unerwartet total out of control ist? Der Besatzung verbleiben 4 Sekunden. Derartige Maßnahmen können zum Einen von keiner Crew abverlangt werden. Zum Anderen entbehren sie auch jeder Logik.

Gruß

Matthias
 
Ich stelle mir das so vor, daß ich plötzlich auftretenden Lärm zusammen mit einem "Ausbrechen" des Flugzeugs aus seiner stabilen Fluglage bemerke, und dann reflexartig erstmal "den Gang raus nehme", sprich die Thrust Levers zurücknehme, ohne gross zu fragen ob das Problem nun auf der linek oder rechten Seite besteht.
So, wie ich beim Autofahren, wenn ich ins Schleudern gerate auch den Fuss von Gas nehme, um mein Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bekommen. Natürlich hinkt der Vergleich vom Auto zum Flugzeug ganz gewaltig. Aber das Prinzip bleibt: Der Antrieb ist in beiden Fällen eine der Ursachen, welche mein Fahrzeug aus seiner stabilen Lage herausgeworfen hat. Und darum sehe ich die Idee, den Antrieb als Fehlerursache zu eliminieren, um aus der instabilen Lage wieder in eine stabile zu kommen als nicht grundsätzlich verkehrt an. Zumal eben einige wertvolle Zeit daran verschwendet würde, herauszufinden, welches Treibwerk denn nun Schuld an meiner instabilen Lage ist, um dann nur dieses TW abzustellen. Asymetrischer Schub ist bestimmt keine gute Vorraussetzung, um aus einer instabilen Lage wieder in eine stabile Lage zu kommen. Nimmt man auf beiden Triebwerken den Schub jedoch zurück, ist es wieder symetrisch. Strom sollten die Generatoren eigenltich auch noch im "Flight IDLE" liefern, von da her nehme ich den Ausfall mehrerer Backup-Systeme durch die Schubwegnahme jetzt erst mal nicht so ganz ab. Und wenn es doch sein sollte, dann eben beide TW auf 10% N1 zurücknehmen, oder wie viel (wenig) auch immer ausreichend ist, um Hydraulik ind Elektrik ausreichend zu versorgen. Man will sich ja schliesslich keine neuen Probleme schaffen, sondern so viele wie möglich beseitigen, um sich effizient mit dem ursprünglichen Problem auseinander setzen zu können.
 
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier nach dem passenden Problem zur vorhandenen Lösung gesucht werden soll, wofür mir meine Zeit zu schade ist.

Dennoch habe ich den Thread nochmals ganz durchgelesen und weiter oben schriebst Du

Wäre es denn so dramatisch, im Reiseflug auf Reisehöhe erstmal BEIDE Motoren abzustellen (=IDLE oder ganz aus??)...

Vielleicht ist das der Grund für's Missverständnis. Wie @oberbayer schon schrieb, regelt das FADEC (zumindest auf Airbus) den Motor sowieso auf IDLE Power.

Damit bleibt immer noch IDLE Reverse Thrust und zusätzlich der assymetrische Widerstand des geöffneten Reversers (auf CFM56 erheblich!). Dennoch sollte damit ohne weitere Wild-West-Massnahmen der Flieger unter Kontrolle zu halten sein, bis der Motor gemäß Checkliste ruhig und geordnet abgestellt werden kann.

Beim Lauda-Unfall lief der Motor ja mit 'Vollgas' weiter und erst daher kamen die massiven Kontroll-Probleme, die schließlich zum Kontrollverlust geführt haben.

Dennoch wird in einem Verkehrsflugzeug auch wenn die 'Kacke am Dampfen' ist, nicht einfach irgendwas mal schnell ausgemacht frei nach dem Motto 'Let's see what this does...'. Wer soetwas vorschlägt, zeigt nur dass er keinen Einblick in die Abnormal Ops auf einem Airliner hat, die schließlich den Großteil der Ausbildungszeit auffrißt, sei es zur Erlangung der notwendigen Systemkenntnisse oder für das Üben und abfliegen der Notverfahren. Ein ILS bei CAVOK runterzufliegen, kann (fast) jeder.

Im SIM ein Heavy Abnormal geordnet abzuarbeiten und nach der operationell optimalen Lösung zu suchen erfodert weit mehr Fähigkeiten als mal schnell auf ein paar Knöpfe zu drücken. Die Generation dieser Piloten ist vor etwa 20-30 Jahren ausgestorben. Teilweise physisch durch vermeidbare Unfälle, teilweise durch die Einführung von CRM eben als Folge dieser Unfälle. Ich kann mir im A320 nur einen einzigen Fehler vorstellen, bei dem man ohne Checkliste und aus dem Bauch heraus Systeme abschalten muss.

Das ist eine 3-fache Blockade aller Pitot-Rohre, wo man mit zunehmender Höhe fälschlicherweise eine zu hohe Geschwindigkeit angezeigt bekommt und der Flieger schließlich durch die Overspeed-Protection der Flight Envelope Protection die Nase noch weiter hebt und einem in den Stall fliegt, während man ja tatsächlich schon viel zu langsam ist. Der Grund hier selbständig agieren zu müssen, ist dass es (noch) keine Checkliste für diesen theoretisch unmöglichen Fehler in einem dreifach redundanten System gibt.

Gruß MAX
 
Vielleicht ist das der Grund für's Missverständnis. Wie @oberbayer schon schrieb, regelt das FADEC (zumindest auf Airbus) den Motor sowieso auf IDLE Power. ..

das kanns sein, wenn die Automatik eh bereits das Gas rausnimmt, muss man es ja nicht mehr "von hand" machen. kann denn der a/P auch damit um, sprich die Rudertrimmung entsprechen anpassen, daß das Flugzeug trotz des asymetrischen Schub und Widerstandes weiter geradeaus fliegt?

Und: Wenn die Automatik soweit ist, kann man dann nicht auch eine entsprechende Warnmeldung generieren ENG1 FAIL oder whtever? Ich stell mir das irgendwie ziemlich haarsträubend vor, die Situation "Ein Motor macht und gerade herbe Probleme, wir wissen nur nicht, welcher...", und die von dir beschriebenen zeitraubenden Komplexionen nur ja nicht den falschen abzustellen (bzw an zu lassen), gerade mit dem Hinblick, daß die Situation schnellstmögliches reagieren erfordert, um aus einer ernsthaften Lage keine kritsche oder gar fatale zu machen.
Daher kam die Idee, erstmal beide Unsicherheitsfaktoren aus der Gleichung zu nehmen, dann die Entscheidung links/rechts fällen, und danach mit dem "richtigen" weiter zu arbeiten.

Denkweise:
1. Ich weiss ich HABE ein massives Problem.
2. Ich muss SCHNELLSTENS reagieren.
3. Das Problem exakt zu lokalisieren dauert zu lange.
4. Aber ich kann einen grösseren Bereich rund um das Problem lahm legen. Damit verliere ich zwar für den Moment auch einige intkate Systeme, habe aber auf jeden Fall das Problem eingedämmt, und damit Zeit gewonnen, das Problem genauer zu lokalisieren.

Oder die Vorgehensweise bei einen "BAT DISCHARGE WARNING" in der 1-mot: Erstmal komplette Avionik AUS, und dann nur das notwendigste wieder zuschalten.
 
3. Das Problem exakt zu lokalisieren dauert zu lange.

Genau das nicht zu tun hat aber in der Vergangenheit schon fatale Folgen gehabt. Aktionen wie Feuerlöschkartuschen auslösen, Triebwerke abstellen oder auf Idle zu nehmen oder IRUs auf ATT oder aus OFF zu schalten usw, sprich alles was irreversieble ist, wird zu mindest in einem Airbus Cockpit eh nicht ohne Bestätigung des anderen gemacht. PNF: "ENG 1 Fire Discharge - Confirm" (mit dem Finger darauf Deutend) PF: (Schaut hin) "Confirm" - und erst dann wirds gemacht.

Etwas überspitzt: "First Coffee - then React" :)
 
Warum sollte das Zurücknehmen der Schubhebel irreversibel sein? Oder das Schalten eines Schalters auf OFF? Der wird doch wohl auch eine ON Position haben, oder? (Ok, manche Systeme werden einige Zeit brauchen, wieder "hochzufahren")

Nur ist das nach Max's Erklärung ja eh nicht nötig, da Die Maschine sowieso automatisch auf IDLE geht, auch ohne manuelles Zurücknemhen der Schubhebel. Andererseits scheint ja diese Automatik nicht zu verhindern, daß das Flugzeug trotzdem "binnen Sekunden eine abnormale Fluglage einnimmt".


By the way wurde mir mal erzählt, daß es gerade im Luftfahrtbereich meist besser ist, eine Entscheidung zu fällen, wleche sich unter Umständen hinterher als nicht optimal heruausstellte, als wertvolle Zeit damit zu vergeuden, keine Entscheidung zu treffen, und nur zu überlegen, was man denn nun am besten tun solle.
Als Beispiel wurde (allerdings mit einen gewissen Augenzwinkern) folgendes erzählt: Stell dir einen Atlantikflug vor, und dir fallen alle TW aus. Wenn du nun Ewigkeiten darüber philosophierst, ob es besser ist, umzukehren, oder weiterzufliegen, wirst du mit sicherheit gar keine der beiden Küsten erreichen.
 
By the way wurde mir mal erzählt, daß es gerade im Luftfahrtbereich meist besser ist, eine Entscheidung zu fällen, wleche sich unter Umständen hinterher als nicht optimal heruausstellte, als wertvolle Zeit damit zu vergeuden, keine Entscheidung zu treffen, und nur zu überlegen, was man denn nun am besten tun solle.
Als Beispiel wurde (allerdings mit einen gewissen Augenzwinkern) folgendes erzählt: Stell dir einen Atlantikflug vor, und dir fallen alle TW aus. Wenn du nun Ewigkeiten darüber philosophierst, ob es besser ist, umzukehren, oder weiterzufliegen, wirst du mit sicherheit gar keine der beiden Küsten erreichen.


Also schön, wer so was erzählt, hat mit Verlaub keine Ahnung von der Fliegerei, zumindest mal nicht von einer normalen Airline Ops.

Erstmal präventiv beide Triebwerke abschießen, um dann zu schauen und zu überlegen was es gewesen sein könnte? Mal abgesehen davon, das du damit voraussetzt, das man nicht weiß was grad passiert ist, soll man danach noch das Riskio eingehen, das falsche Triebwerk wieder anzumachen? Also schon von daher unlogisch.


Diese Gedanken sind dermaßen absurd, das sich eigentlich jede Diskusion erübrigt.

Max hat doch mehrfach erklärt, warum solche Schnellschüsse absolut unüblich und unerwünscht sind.

Zur nicht optimalen Entscheidung: Feuer links, Hektik und Schnellschuss, das rechte Triebwerk wird gelöscht...kann man wirklich nicht ganz optimal nennen. Das linke brennt, das rechte ist totgelöscht...und jetzt? Auch falls man dann überleben sollte, war es trotzdem der letzte Flug.


Es gibt nicht umsont dicke Handbücher und Procedures in der Luftfahrt die in jahrelanger Erfahrung immer weiterentwickelt wurden und werden.

Und nicht umsonst wird man darauf gedrillt, diese auch einzuhalten.

Vg

C9T1
 
zum x-ten male: Der Gedankengang war, den Schub auf beiden TW weitgehnd (im Extremfal also auf Null) zu reduzieren, um damit dem asymetrischen Schub und den daraus resulierenden instabliben und unkontrollierbaren Flugzustand zu verhindern. Die ist eine kurzfristige und jederzeit revidierbare Massnahme.

Wenn ich dagegen ein TW mit Halon vollpumpe, dann kann ich dieses TW für die nächste Zeit vergessen, so was ist also als Präventivmaßnahme untauglich.

Da inzwischen geklärt wurde, daß die Tws im Falle eine ungewollten Reverser Deployment den Schub bereits automatisch wegnehmen, war der Gedankengang an sich nicht falsch, nur erfordert er kein Eingreifen, da die Technik das bereits von sich aus regelt.

Und wie so schön angemerkt wird: Die Handbücher und Procedures werden immer weiterentwickelt. und ich gehe stark davon aus, daß diejenigen, die sie weiterentwickeln darüber nachdenken, was sie machen. Und dabei werden sie ganz gewiss auch einigige Abläufe gedanklich durchspielen, die noch nicht in den Procedures enthalten sind, denn sonst gäbe es schlicht und ergreifen niemals irgendwelche Änderungen. Sicherlich werden viele Überlegungen auch wieder verworfen, aber auch diese Gedanken müssen erst duchgespielt werden, bevor man sie als untauglich einstufen, und abhaken kann.

Ein Ziel dabei ist es gerade auch, langwierige Entscheidugnsfindungsprozesse im Cockpit zu vermeiden, da ein Flugzeug nunmal nicht rechts ranfahren und auf den ADAC warten kann. Das Flugzeug ist JETZT in der Luft, es hat JETZT ein ernstes Problem, und da darf die Lösung nicht bis übermorgenabend dauern, denn so lange wird der Sprit schlicht nicht reichen - sofern das Problem solcher Natur ist, daß man wenigstens normal weiterfliegen kann. Die meisten ernsten Probleme in der Luft sind jedoch solcher Nautur, daß sie eine Landung früher als ursprünglich geplant nach sich ziehen, was die Zeit zur Problembekämpfung bzw Entscheidungsfindung, WIE das Problem denn überhaupt bekämpft werden soll, weiter reduziert.

Ergo: Am Boden, ausserhalb des Flugzeuges darüber nachdenken, was man machen könnte, um für den Fall der Fälle entsprechende Lösungsnasätze in Form von Abnormal Checklists da zu haben, erscheint mir stimmiger, als im Ernstfall erstmal ein Triumvirat im Cockpit einzuberufen, und die Debattierrunde zu eröffnen, bis der Sprit vollends verflogen ist.
Aber bitte, jedem wie es beliebt...
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein Ziel dabei ist es gerade auch, langwierige Entscheidugnsfindungsprozesse im Cockpit zu vermeiden, da ein Flugzeug nunmal nicht rechts ranfahren und auf den ADAC warten kann. Das Flugzeug ist JETZT in der Luft, es hat JETZT ein ernstes Problem, und da darf die Lösung nicht bis übermorgenabend dauern, denn so lange wird der Sprit schlicht nicht reichen - sofern das Problem solcher Natur ist, daß man wenigstens normal weiterfliegen kann. Die meisten ernsten Probleme in der Luft sind jedoch solcher Nautur, daß sie eine Landung früher als ursprünglich geplant nach sich ziehen, was die Zeit zur Problembekämpfung bzw Entscheidungsfindung, WIE das Problem denn überhaupt bekämpft werden soll, weiter reduziert.

Ergo: Am Boden, ausserhalb des Flugzeuges darüber nachdenken, was man machen könnte, um für den Fall der Fälle entsprechende Lösungsnasätze in Form von Abnormal Checklists da zu haben, erscheint mir stimmiger, als im Ernstfall erstmal ein Triumvirat im Cockpit einzuberufen, und die Debattierrunde zu eröffnen, bis der Sprit vollends verflogen ist.
Aber bitte, jedem wie es beliebt...

Ich verstehe nicht wieso du so ins Extrem abgleitest.
-Triumvirat im Cockpit einberufen
-Debattierrunde, bis der Sprit vollends verflogen ist
-die Lösung darf nicht bis übermorgenabend dauern

Dass du das nicht wörtlich meinst, ist schon klar - aber es ist so übertrieben völlig fehl am Platz!

Das was Max uns sagen will, bedeutet nach meiner Sicht der Dinge nicht mehr, als dass man es dringend vermeiden soll innerhalb von Sekundenbruchteilen ohne genaue Kentniss der Situation "blind die nächstbesten Knöpfe" mit der Hoffnung "dass es was bringt" zu drücken.

Das hat aber auch garnichts damit zu tun, dass man sich ewig mit der Fehlerdiagnose befasst, sondern damit dass man das companyinterne Verfahren zügig und gewissenhaft umsetzt. Dass sich die Piloten währenddessen keinen Kaffee bestellen kann man sich ja wohl denken.

Ich war ja vor ein paar Tagen auch noch der Meinung, dass schnell handeln besser ist als zu lange warten - aber nachdem ich zwei Tage drüber geschlafen habe erscheints anders rum doch sicherer. ;)
 
@ Bruchpilot:

Du scheinst irgendwie ein Problem damit haben, Dich an vorgegebene Verfahren halten zu müssen. Das wäre in der Airline-Fliegerei der absolute Supergau. Hier ist alles bis ins kleinste Detail geregelt, wer wann welchen Schalter drückt, wie eine Systemstörung abgehandelt wird und wie dabei kommuniziert wird.

Natürlich gibt es ab und zu mehr oder weniger gute Gründe, bestehende Verfahren in Frage zu stellen, sei es auf Seiten des Operators oder auf Ebene des Herstellers. Dabei ist dann in der Regel ein hochkarätig besetztes Gremium zu Gange, welches zu operationell sinnvollen Lösungen kommt. Die Arbeitsweise ist hier (wie auch im Cockpit allgemein) extrem Lösungsorientiert, davon könnten sich in der freien Wirtschaft viele etwa abschneiden.

Die Airline-Fliegerei ist nun mal nach allen anerkannten statistischen Methoden unglaublich sicher, was eine direkte Folge der Redundanz auf allen Ebenen, des extrem umfangreichen Trainings, aber auch der ausgereiften Betriebsverfahren und deren strikter Einhaltung ist.

In dieser Liga wird die PPL-/Kolben-Einmot-/Fliegerei niemals mithalten können (hauptsächlich aus Kostengründen) und es würde auch gar keinen Sinn das PPL-Training in Analogie zu gestalten, da man ja doch immer nur mit einem nicht-redundanten Gerät im Single-Pilot-Cockpit unterwegs ist. Ich kenne die PPL-Fliegerei von links und rechts (sprich als Student, Pilot und Instructor) und möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass dies nicht abwertend gemeint ist, schließlich liegen dort die Wurzeln meines fliegerischen Werdegangs.

Dennoch haben sich auch einige Ansichten meinerseits geändert, wenn man erst mal tieferen Einblick in die Abläufe und betrieblichen Notwendigkeiten innerhalb eines Airliner-Cockpits hat. Wenn Du diese Erfahrung machen könntest, würdest Du ziemlich sicher auch einige Deiner kreativen Vorschläge revidieren. Versuche doch mal Deinen Bekannten zu einem Refresher oder Check im SIM zu begleiten, wenn man vorher die anderen beiden Kollegen um ihr Einverständnis fragt ist das idR problemlos möglich.

Warum sollte das Zurücknehmen der Schubhebel irreversibel sein? Oder das Schalten eines Schalters auf OFF? Der wird doch wohl auch eine ON Position haben, oder? (Ok, manche Systeme werden einige Zeit brauchen, wieder "hochzufahren")

Das ist einfach nicht richtig, auf jedem Airliner gibt es Systeme die - einmal abgeschaltet - erst wieder am Boden oder von der Technik aktiviert werden können. Die Betätigung dieser Schalter ist daher als 'Monitored Action' definiert, welche erst dann ausgeführt werden darf, wenn der Kollegen mit einen 'confirmed' den richtigen Schalter bestätigt hat.

Beim A320 wären das z.B. neben den Engine-Master-Switches die Mode-Selectors der IRUs (kann man nur am Boden im Stillstand alignen), die Cargo Fire Extinguisher (es gibt nur eine Bottle für 2 Frachträume), die IDG-Disconnects (kann nur am Boden wieder resettet werden) uvm. In all diesen Fällen 'hat der Schalter zwar eine ON Position', aber das betreffende System würde trotzdem nicht arbeiten.

Gruß MAX
 
Zuletzt bearbeitet:
Die ursprüngliche Frage hat Max bereits wunderbar und sachlich erläutert.
Da meine Überlegungen danach noch mehrfach pauschal abgewatscht wurden, habe ich mehrfach verucht, sie zu klarifizierern, nur um weiter falsch verstanden und pauschal abgewatscht zu werden, wobei wir uns auch immer weiter von Thema "Schubumkehr" weg bewegten.

Also habe ich es eben etwas stärker auf den Punkt gebracht:

- Was ist besser, sich antriebslos aber in stabilen und kontrolliertem Flugzustand in ausreichender Höhe, oder mit vollem Schub in einem unkontrollierten und instablien Flugzustand zu befinden?

- Was ist besser, eine schnelle, aber nicht optimale ("nicht optimal" ist NICHT gleichbedeutend mit "schlecht" oder "falsch") Entscheidung zu fällen, oder sich ziel- und orientierungslos in immer neuen Problemen zu verstricken, um ja die allerallerbeste Möglichkeit zu finden?
 
Dazu möchte ich auch kurz noch etwas schreiben:

Die meisten ernsten Probleme in der Luft sind jedoch solcher Nautur, daß sie eine Landung früher als ursprünglich geplant nach sich ziehen, was die Zeit zur Problembekämpfung bzw Entscheidungsfindung, WIE das Problem denn überhaupt bekämpft werden soll, weiter reduziert.

Ergo: Am Boden, ausserhalb des Flugzeuges darüber nachdenken, was man machen könnte, um für den Fall der Fälle entsprechende Lösungsnasätze in Form von Abnormal Checklists da zu haben, erscheint mir stimmiger, als im Ernstfall erstmal ein Triumvirat im Cockpit einzuberufen, und die Debattierrunde zu eröffnen, bis der Sprit vollends verflogen ist.
Aber bitte, jedem wie es beliebt...

Die Lösung des 'Rätsels' liegt wie so oft im Leben in der Mitte.

Jenachdem wie zeitkritisch ein Problem ist, unterscheiden sich die Abläufe zu seiner Abhandlung. Diese vorab weitestgehend festzulegen und zu standardisieren ist genau die Aufgabe derjenigen Kollegen, die am Boden (in der Trainings- oder Technik-Abteilung der jew. Airline) in diesem Bereich beschäftigt sind. Der Sinn und Zweck ist aber nicht die Vermeidung des Triumvirats (obwohl wir ja idR nur noch zu zweit sind), sondern genau die Herbeiführung desselben - nichts wäre schlimmer, als ein CPT der auf dem Holzweg ist und von seinem Co nicht aufgehalten wird. Das ist einer der Kernpunkte von gutem CRM.

Dennoch gibt eine Situation, die auch eine kurze gemeinsame Analyse nicht zulässt und das ist ein Start-Abbruch im High-Energy-Bereich. Tritt kurz vor V1 ein Problem auf, muss der CM1 innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden 'STOP!' oder 'GO!'. Dabei bleibt nicht mal Zeit die persönlichen Eindrücke zu verifizieren, denn gerade die blödesten Fehler melden sich nicht per ECAM-Caution wie z.B. Reifenplatzer, Vogelschlag, Engine Stall uvm.

In ALLEN anderen Situationen kommt nachdem das ECAM- oder QRH-Abnormal-Procedure bis zu seinem Ende abgearbeitet ist ein Verfahren namens 'FORDEC' zum Einsatz. Die Abkürzung steht für:

F acts
O ptions
R isks&Benefits
D ecision
E xecution
C heck

Nehmen wir nun das Beispiel eines Dual Hydraulic Fault, der Flieger ist also nur noch mit einem einzigen Hydraulik-System unterwegs, ein unschöner Zustand ohne jegliche Redundanz. Aber trotzdem 'Eile mit Weile'! Zunächst wird mit Blick auf den Fuel on Board und die Dringlichkeit des Problems ein Zeithorizont gesetzt und damit entschieden ob ein zeitkritisches Problem vorliegt oder nicht.

In unserem Fall wäre diese Frage eindeutig mit 'Ja' zu beantworten und wir möchte gerne spätestens in 30 Minuten am Boden sein.

Es werden Fakten zum Problem gesammelt (Was funktioniert noch, was ist unser Landing Minimum, welche Landings Distance wird benötigt, wieviel X-Wind verträgt der Flieger noch uvm.)

Danach werden die verfügbaren Optionen untersucht, sprich welche Airports sind innerhalb des gesetzten Zeitrahmen erreichbar. Bei einem zeitkritischen Problem würde man dabei die 'first suitable solution' anstreben, bei einen zeitunkritischen Problem die 'optimum solution'. In diesem Rahmen wird nun verglichen, welcher der Airports nun unser neue Ziel werden wird.

In AAA ist die Bahn lang, dafür ist das Wetter genau am CAT1-Minimum, in BBB ist die Bahn kurz und nass, dafür ist das Wetter problemlos anfliegbar und in CCC gibt es ebenfalls eine trockene 4000-Meter-Bahn, aber der Wind weht genau an unserem X-Wind-Limit.

Diese Liste läßt sich noch beliebig fortsetzen, aber genau so sind unsere LOFT-Szenarios im SIM aufgebaut. Es gibt also bewußt keine richtige und falsche Lösung, sondern der Flieger muss in angemessener Zeit sicher auf den Boden und der Weg dorthin muss zusammen gefunden werden.

Dies geschieht im Rahmen der Abwägung der Risks&Benefits aller gefundenen Optionen und es fällt die Decision für den Airport AAA.

Nachdem wir uns nun für AAA als Ausweichflughafen entschieden haben beginnt die Execution, sprich es wird alles für die Ausweichlandung vorbereitet: FMS programmieren, Karten rausholen, Briefen, Info an die Kabine, die Gäste, die Company usw.

Während des restlichen Fluges wird nun permanent die Frage gestellt 'Haben wir an alles gedacht' oder haben sich neue Fakten ergeben, die eine Neubewertung erfordern. Dies stellt den Check da, nicht immer einfach einen einmal eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen.

Ich hoffe, ich konnte in diesem kurzen Rahmen ein wenig die Strategie zur Lösung von Problemen in 2-Mann-Cockpit beleuchten. Wer nun immer noch behaupten möchte, dass die 'Shoot&Run'-Methode erfolgreicher ist, dem werde ich fortan nicht mehr widersprechen - solange ich nicht mitfliegen muss.

Gruß MAX
 
@Max: Wenn du mir ernsthaft ein Problem mit vorgegebenen Verfahren vorwerfen wilst, kann ich dir vorwerfen, ein Problem damit zu haben, theoretische Überlegungen ausserhalb des gewohnten Rahmens zuzulassen.

Wir können aber auch einfach die gegenseitigen Vorwürfe bleiben lassen, und uns weiter über Luftfahrt unterhalten.

Bei solchen theoretischen Überlegungen leigt es in der Natur der Sache, daß der bei weitem überwiegende Teil der Überlegungen sich später als letztlich doch nicht vorteilhaft oder aber als nicht umsetzbar erweist. Dennoch ist es meist die Mühe wert, sich auch solche "abwegigen" Gedanken zu machen, und diese bis zu Ende durchzudenken, anstatt alles neue oder unübliche sofort kategorisch abzulehnen. So manche revolutionäre Innovation war zu Beginn als "Spinnerei" abgetan worden. (Nein, ich gehe nicht davon aus, daß ich einer solchen Innovation auf der Spur bin)

Ich habe grösstes Vertrauen darin, daß die Luftfahrt gerade im westlichen Teil der Welt von Profis durchzogen ist, die wissen, was sie tun, und warum sie es tun. Trotzdem sollte es nicht verboten sein, als Aussenstehender sich mal seine eigenen Gedanken zu machen, und seien sie auch noch so verquer.

P.S. : Um nochmal auf das Schubumkehr-Problem zurückzukommen: Bei deinem Beispiel des Dual Hydraulic Fault hast du einen fiktiven Zeithorizont von 30 Minuten genannt, um das FORDEC und die Landung durchzuführen.

Wie sieht das Procedure aus, wenn der Zeithorizont besagt, daß das Flugzeug sich innerhalb von 30 SEKUNDEN in einem abnormalen/unkontrollierbaren Zustand befinden wird, wenn nicht eingegriffen wird?
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie sieht das Procedure aus, wenn der Zeithorizont besagt, daß das Flugzeug sich innerhalb von 30 SEKUNDEN in einem abnormalen/unkontrollierbaren Zustand befinden wird, wenn nicht eingegriffen wird?

Der Flight-Warning-Computer des A320 kennt etwa 350 Cautions und Warnings, die er via ECAM ausgeben kann. Zusätzlich gibt es noch diverse Procedures für Fehler, welche der Flieger nicht selbt bemerken kann.

In diesen etwa 400 Verfahren ist mir KEIN Fall bekannt, in dem eine Action ohne jegliche Absprache, Verifizierung etc. nötig ist, um den Flieger zu 'retten'.

Nun kann man allerdings solange theoretisch unmögliche Szenarien kreieren, bis eines entsteht bei dem selbst Charlton Heston oder Joe Patroni Probleme hätten, würden sie nicht sofort und instinktiv natürlich das richtige tun.

Theoretisch unmöglich heißt in der Fliegerei idR dass die Wahrscheinlichkeit < 10^-8 bis 10^-9 ist. Anstatt den nach den gesetzlichen Vorgaben lächerlich niedrigen Trainingsaufwand für solche Szenarien zu verwenden, ist der Flugsicherheit definitiv mehr damit gedient, die WIRKLICHEN Unfallschwerpunkte trainigsmäßig anzugehen.

Gruß MAX
 
Das Video stammt aus einer Reihe von Lehr-Videos, in dem die Airbus-SOPs und das ECAM-Handling vermittelt werden sollen.

Ergänzend sei noch gesagt, dass man ein Flugzeug auch etwas anders bedienen kann - zum Glück arbeiten wir nach dem 'Silent Cockpit Concept' und beschränken die Kommunikation auf wirklich wesentliche Dinge. Bei Airbus muss man z.B. jeden FMA-Change ansagen, und alle sagen immer zu allem 'checked!'. Klingt zwar toll, ist aber nervig.:shut:

Es ist sehr schön zu sehen, wie in Ruhe das ganze ECAM-Procedure abgearbeitet wird. Dafür gibt es (leider) keinerlei 'Decision-Making', was wohl auch nicht Inhalt des Filmches sein sollte. Insofern fehlen die 'interessantesten' 10 Minuten ;)

Gruß MAX
 
Anders gefragt: ist es denn überhaupt denkbar, daß das Flugzeug praktisch ohne Vorwarnung innerhalb von Sekunden aus einem normalen in einen äusserst kritischen Flugzustand gerät? Die meisten Szenrien bilden sich ja erst langsam - ich denke da an den Halifax-Absturz, der sich auch mit der Zeit entwickelte, nur leider war für die Crew die Dramatik des Problems lange nicht absehbar gewesen, so daß der Unfall nahezu unvermeidbar gewesen war. Aber wir entfernen uns vom eigentlichen Thema Schubumkehr...

Nochmal rekapitulieren: Im Falle einer plötzlichen ungewollten Schubumkehr schaltet die Automatik die Triebwerke (Beide oder nur das Betroffene? Wir wollen ja nicht davon ausgehen, daß die Schubumkehr auf beiden Seiten aktiviert wurde) sofort auf IDLE Power. Dennoch gerät das Flugzeug in eine kritsche Flgulage, welche nichtmal der Chef-Testpilot im Simulator recovern konnte. Ergo: Falls es dazu kommt, kann man fast nur noch beten.

Du hast ja schon den "unmöglichen" Fall des dreifachen Pitot-Rohr Versagens angesprochen.
 
Anders gefragt: ist es denn überhaupt denkbar, daß das Flugzeug praktisch ohne Vorwarnung innerhalb von Sekunden aus einem normalen in einen äusserst kritischen Flugzustand gerät?

Praktisch nein, theoretisch kaum.

Nochmal rekapitulieren: Im Falle einer plötzlichen ungewollten Schubumkehr schaltet die Automatik die Triebwerke [...] sofort auf IDLE Power. Dennoch gerät das Flugzeug in eine kritsche Flgulage, welche nichtmal der Chef-Testpilot im Simulator recovern konnte. Ergo: Falls es dazu kommt, kann man fast nur noch beten.

Die Recovery war nur deswegen unmöglich, weil eben damals auf der B767 der Motor NICHT automatisch auf IDLE geregelt wurde, sondern munter mit 'Vollgas' und offenem Reverser weiterlief.

Auf den Airbusfliegern ist es heute so wie oben geschrieben, dass FADEC automatisch die Power rausnimmt (wie es damals war, weiss ich nicht) und von Boeing habe ich zu wenig Ahnung um eine Aussage über die heutige Situation zu treffen.

Du hast ja schon den "unmöglichen" Fall des dreifachen Pitot-Rohr Versagens angesprochen.

Ja genau, es ist theoretisch unmöglich, dass ein dreifach redundantes System gleichzeitig komplett versagt. Theoretisch unmöglich heißt in diesem Fall das das Risiko ~ < 10^-8 ist und somit etwa einal alle 100 Millionen Flugstunden auftritt. Wahrscheinlich liegt es sogar eher im Bereich 10^-16 (da ja mehrere unabhängige System betroffen sein müssen) und damit vernachlässigbar gering.

Trotzdem ist es eben im Rahmen des Restrisikos nicht unmöglich, sondern nur extrem unwahrscheinlich. Die einzige Möglichkeit sich gegen solche Restrisiken abzusichern, ist den Flugverkehr einzustellen.

Würde man (was durchaus verständlich ist) beginnen die statistischen Modelle zur Auslegung der Redundanz in Frage zu stellen, dann würde das absolut uferlos werden und ebenso wie ein 'triple Pitot Fault' müsste es dann auch Verfahren für einen 'All Engine Failure' in 100 Fuss nach Take-Off geben. Wie sollte das aussehen?

Oder man müsste den rechten und linken Tank des Fliegers aus verschiedenen Tankwagen betanken, die ihren Sprit aus unterschiedlichen Tanklagern beziehen, die über verschiedene Pipelines aus verschiedenen Raffienerien usw usw usw. Wer soll das bezahlen?

Leben ist einfach lebensgefährlich, wer nicht bereit ist diese Risiken einzugehen, darf halt nicht fliegen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, sich bei einem Unfall im oder ums Haus (tödlich) zu verletzen um Größenordnungen höher (müsste die Zahlen raussuchen).

Für einen Passagier - auch für Vielflieger - sind diese Betrachtungen ohnehin nichtig. Wenn dann müssten sich die Crews hierüber gedanken machen, da wir 600-900 Stunden im Jahr fliegen und dabei teilweise über 500 Legs fliegen. In sofern sind wir von allen statistischen 'Schwachstellen' zuerst betroffen. Und trotzdem gehe ich jeden Tag völlig entspannt zur Arbeit...

Gruß MAX
 
[...]

Für einen Passagier - auch für Vielflieger - sind diese Betrachtungen ohnehin nichtig. Wenn dann müssten sich die Crews hierüber gedanken machen, da wir 600-900 Stunden im Jahr fliegen und dabei teilweise über 500 Legs fliegen. In sofern sind wir von allen statistischen 'Schwachstellen' zuerst betroffen.

[...]

Gruß MAX

Interessanter Ansatz @ Max! :thbup: Für die nächsten Gehaltsverhandlungen wäre damit das Argument der 'Gefahrenzulage' schon vorbereitet! ;D
 
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