Wenn ich von solch extremen Fluglagen und -manövern lese, muss ich immer an den Flug CAL006 der B747 SP der China Airlines und auch den TWA-Flug 841 mit B727 denken. Beiden Crews gelang es aus m.M. nach noch extremeren Situationen herauszukommen. An was liegt das? Sind die heutigen vollcomputerisierten Flugzeuge schwerer aus solchen Situationen zu retten - oder war es einfach nur Glück für die beiden vorgenannten Crews
Ich habe mir die Berichte zu beiden Fällen noch einmal angeschaut.
Zunächst: Glück hatten die damals bestimmt. Die CAL-Piloten haben den Flieger erst wieder in den Griff bekommen, als sie den natürlichen Horizont sahen, nachdem sie aus den Wolken kamen. Übrigens haben in diesem Fall sowohl CPT als auch FO und FE ausgesagt, weder die Overspeed-Warnung gehört noch den Stickshaker (Elektromotor, der den Steuerknüppel rüttelt, um vor Stall zu warnen) gespürt zu haben. Auf den damaligen Flugdatenschreibern wurden diese Werte nicht erfasst, der Cockpit-Voice -Recorder zeichnete damals wohl nur 30min auf und enthielt den Vorfall nicht mehr, da bis zur nachfolgenden Landung mehr als 30min vergingen. M.E. müssen aber beide Warnungen angekommen sein und wurden (auch nur meine Meinung) seitens der Crew ausgeblendet oder zumindest nicht mehr erinnert.
Bei beiden älteren Fällen kam zu dem extremen Flugzustand kein Wechsel von flight laws und damit verbunden evtl unterschiedlicher Empfindlichkeit der Steuerung hinzu. Das könnte in solchen Situationen für die Klassikflieger sprechen. Der weitere Unterschied der Fälle CAL006 und TWA841 zu AF447 und QZ8501 ist die Tatsache, dass die beiden Airbusse durch (zumindest bei QZ8501 vermutlich zunächst unbewusste, später duch den Zuruf "pull down, pull down" verstärkte) pitch-up-commands in den stall geflogen und dort gehalten wurden. Dies wäre bei den klassischen Fliegern nur durch bewusstes Trimmen oder mit viel Kraftaufwand möglich gewesen. In den Flugzustand "gerade liegendes Flugzeug fällt nahezu senkrecht", aus dem man nur mit bewussten, deutlichen pitch-down-commands wieder herauskommt, sind die Flugzeuge in den beiden älteren Fälle m.E. nie gekommen.
Man kann jetzt lange über Vor- und Nachteile der verschiedenen Steuerungskonzepte streiten. M.E. hat die FBW-Steuerung gegenüber der konventionellen allein durch die Möglichkeit der flight envelope protection sehr viele Vorteile. Ob da jetzt die Lösung A mit Sidestick oder die Lösung B mit Steuerhorn die bessere ist, kann ich mangels Vergleichsmöglichkeit (ich habe weder Erfahrung mit B777 noch mit B787, alle anderen B haben kein FBW) nicht sagen.
Vermutlich ist auch der Vergleich der älteren Vorfälle mit den beiden neueren Unfällen ein gutes Beispiel für die Tatsache, die ich seit meiner Zeit auf A310 festgestellt habe: Je "einfacher" oder komfortabler die Flugzeuge in der "normal operation" durch Automatisierung aller Art werden, desto größer ist der Unterschied zur "abnormal operation", zumindest wenn es sich um schwerwiegendere Probleme handelt.
Dazu passt auch der folgenden Absatz aus dem Bericht des NTSB vom März 1986 zur CAL006 in dem es um die Folgen zunehmender Automatisierung geht:
"Research also indicates that the excursion from a stabilized condition might be exaggerated even after a system anomaly is detected, because of the period required for a pilot to transition from system monitor mode to system controller. Time is needed to "ascertain the current status of the airplane and assess the situation," before the pilot can reenter the control loop and take corrective action."
30 Jahre alt und immer noch topaktuell.
Diesen Problemen ist nur mit Training beizukommen - und Training kostet Geld, und das muss man ausgeben wollen.
Werner