Das rein handwerkliche Abarbeiten eines Start-Abbruchs (RTO - Rejected Take Off) ist auf Flugzeugen mit Autobrake-System keine wirkliche Herausforderung. Allerdings können äußere Umstände erschwerend wirken, z.B. muss der Pilot selbst für die Richtungssteuerung sorgen und das kann bei einem RTO nach Engine Failure im mittleren Geschwindigkeitsbereich (Ruder wirken noch nicht richtig) bei 125m Sicht und vereister RWY auch ganz 'interessant' sein...
Der größere Knackpunkt liegt beim RTO-Decisionmaking. Als Nebenprodukt bei der Berechnung der Take-Off-Data wirft die Software eine 'Stopmargin' aus, sprich wenn ich heute unter den aktuelle Bedingungen genau bei V1 den T/O abbrechen muss, kommt mein Bugrad soundsoviele Meter vor dem 'Grünstreifen' zu stehen.
Bei einem A319 in MUC ist diese Stopmargin gerne mal im Bereich von ~1.800 m, da ist dann der gängige Joke im vor jedem T/O fälligen RTO-Briefing: Anhalten, nochmal starten. Bei einem Longranger und/oder auf einer limitierenden RWY kann es aber schon mal sein, dass die Stopmargin bei 0m (i.W. Null) liegt.
Und dass wohlgemerkt nach Anbringen aller Performance-Erhöhenden Massnahmen (TOGA, A/C off, etc.), denn da steht ja der Stationsleiter hinter uns und möchte soviel Payload wie irgend möglich abfliegen sehen.
Bei dem genannten Start bleiben also unter Laborbedingungen genau 0 Meter Reserve übrig und das erfordert natürlich eine sehr gute mentale Vorbereitung mit allen möglichen Gründen für oder noch besser
gegen einen RTO. Während unter 100 Knoten für alle Warnungen grundsätzlich abgebrochen wird, sieht die Sache dann 'approaching V1' schon anders aus.
- Abbrechen nach einem Reifenplatzer? Die schlechtere Bremsleistung ist nicht eingerechnet.
- Abbrechen wegen eines brennenden Motors, der noch Schub liefert?
- Abbrechen wegen eine komplizierten elektrischen Fehlers, bei dem nicht klar ist was zum Bremsen noch funktioniert?
Bitte schnell entscheiden, pro Sekunde beschleunigt der Flieger um 5 Knoten wenn der RTO 10 Knoten über V1 eingeleitet wird, geht es hinten mit 80 Knoten in die Pampa!
Es müssen also 'canned decisions' her: Wofür breche ich unbedingt und immer (bis V1) ab? Diese Gründe sind:
- Thrust Loss
- Airplane uncontrollable
- RWY Incursion
- ATC Call
Alle anderen Fehler werden auf einem FBW-Airbus schon sehr schön vom ECAM 'vorsortiert', indem während der T/O Inhibition für die RTO-Decision unwichtige Fehler erst garnicht gemeldet werden. Bleiben nur noch die Grauzonen-Fehler (ENG Fire, Reifenplatzer, etc.) die man wie schon geschrieben mit zunehmender Annäherung an V1 auf einer limiting RWY für ein kurzes Pattern mit in die Luft nehmen würde.
Insofern war die Aktion in JFK zwar vielleicht knapp, aber von der RTO-Abwicklung nicht unbedingt spannend. Das ist Brot-und-Butter-Fliegerei und gehört wie ein Engine-Failure at V1 zum Pflicht-Repertoire jedes SIM-Checks.
Gruß MAX