In der neuen First nach Delhi
Liebes Forum: Habt ihr alle die Internet-Seite von Singapore Airlines besucht und die neue First Class betrachtet? Wirklich alle? Dann kann ich ja weiterschreiben.... Nein, dass war nur spassig gemeint. Mir war es nur wichtig, dass man einen Blick auf die Internetseite von Singapore Airlines wirft. Denn dabei baut sich eine gewisse Erwartungshaltung auf, wie es sich in dieser Reiseklasse bei Singapore Airlines fliegt: Viel Platz, ein enormes Raumgefühl, ein richtiges Bett mit Bettwäsche, ein breiter Sessel, ein grosser Flachbildschirm, dann natürlich feinstes Essen, serviert von bezaubernden Stewardessen, die sich auch noch um die Bettdecke und das Kissen kümmern, wenn man denn schlafen möchte. Jedenfalls scheint die neue First Class ein Raumwunder zu sein, aber auch ein echtes Privatrefugium. Das habe ich mir zumindest gedacht, als ich diese Bilder im Internet gesehen hatte.
Ich habe mir vor einem halben Jahr im Vorfeld meines Fluges auch diese Bilder angesehen zusammen mit Arbeitskollegen und Freunden. Ich habe mich deshalb besonders auf diesen Flug nach Delhi gefreut - zumal mein letzter First Class Flug mit Singapore Airlines ja der beste Flug meines Lebens war – damals im „alten“ Spacebed im Jumbo Jet. Wie wird also die neue First Class aussehen? Da war ich gespannt - aber auch gespannt auf die First Class Lounge in Singapore, die ja die beste der Welt sein soll. Die Business Lounge dort kenne ich schon. Die First Class Lounge kann also nur noch besser sein.
Diese Lounge will ich etwas genießen. Ich fahre deshalb schon gute 2 Stunden vor Abflug mit dem Taxi von der City in Singapore zum Flughafen. Das ist nicht weit. Die Fahrt ist beruhigend: Elektronische Anzeigetafeln am Rande der Schnellstrasse zeigen an, wie viele Minuten es noch bis zum Flughafen sind. 20 Minuten sagt die erste Anzeigentafel, dann 14 Minuten die zweite Tafel und so weiter. Die Tafeln haben immer Recht. Nach 20 Minuten ist das Taxi tatsächlich am Terminal.
Am Terminal bin ich aus dem Taxi ausgestiegen. Wahrscheinlich hat der Fahrer dann meinen Carbonkoffer aus dem Kofferraum geholt. Ich habe ihm wahrscheinlich noch ein Trinkgeld in die Hand gedrückt. Wahrscheinlich habe ich dann den Check-In-Schalter für die First Class gesucht und auch schnell gefunden. Wahrscheinlich ging auch der Check-In professionell freundlich und flink über die Bühne. Wahrscheinlich eben. Wissen tue ich es aber nicht mehr. Ich vermute es nur, denn: Hätte ich nach dem Check-In suchen müssen, dann hätte ich es mir bestimmt gemerkt. So etwas wäre ein unangenehmes Erlebnis für mich gewesen, an das ich mich lange erinnert hätte (ich suche nicht gerne, ich will sofort finden, wonach ich suche – da bin ich ungeduldig, gewiss eine Unart von mir). Die Betrachtung meines Erinnerungsvermögens geht aber auch andersherum: Wäre der Check-In besonders zuvorkommend und freundlich gewesen, dann hätte ich es mir auch gemerkt und auch berichtet. Denn ich merke mir auch alle sehr angenehme Erlebnisse – nicht nur beim Fliegen, sondern auch beim Sex. Doch diesmal kann ich mich an gar nichts mehr erinnern. Business as usual eben. Es war vermutlich ein ganz normaler First Class Ceck-In. Nicht einmal sexy.
Ich finde solche Erinnerungssachen höchst interessant. An was erinnert man sich nach einem halben Jahr noch, an was erinnert man sich nicht mehr? Ich kann mich nicht mehr an den exckusivenn First Class Check-In erinnern, dagegen kann ich mich an die einfache Taxifahrt zum Flughafen und an die Anzeigentafeln sehr gut erinnern. Dies hat mich also mehr beeindruckt, als der First Class Check in.
Meine Erinnerung setzt erst wieder am Empfang zum Loungebereich ein. Dort muss man sein Ticket vorzeigen. Eine Mitarbeiterin der Singapore Airlines schaut drauf, und strahlt danach freundlicher als sie es vor diesem Blick auf das Ticket getan hat. „Bitte sehr, hier entlang, Mister Donnergeräusch!“ Sie geht mit mir an der Empfangsdame für die First Class Lounge vorbei, sie durchquert mit mir die gesamte Wartehalle (dort sitzen vielleicht 5 Mann und eine Frau) von vorn bis hinten, bis sie am Ende der First Class Lounge links abdreht. Dort ist der Eingang zu einem Privatrefugium, das ich so nicht erwartet hätte. Dort ist sozusagen eine noch bessere First Class Lounge in der First Lounge - sozusagen die Lounge für die Elite, die allerbesten Fluggäste – wer weiß? Dieses Refugium ist komplett leer. Nur ich bin drin in dieser Lounge - und meine Begleiterin, die mich gerade führt. Dort gehen wir an sehr großen Sesseln vorbei. Es sind wirklich große Sesseln, die mich an den alten viktorianischen Stil erinnern: Edles Leder, edle dunkle Hölzer und hochgezogene Rückenlehnen mit Ohren.
Meine Begleitung fragt mich, ob ich ruhen möchte. Nein, sage ich, ich würde gerne etwas arbeiten - besser gesagt Emails beantworten. Das mache ich immer in Lounges. Das ist Gewohnheit. Da hat man meist WLAN und manchmal seine Ruhe. Man kann dort mailen, im Internet surfen oder ein vollkommen unwichtiges Telefonat führen - und nebenbei genießt man ein leckeres Schmankerl und trinkt eine normale Cola als zuckerreiches Aufputschmittel, um fit zu bleiben. Das zumindest sind meine Motive, eine Lounge aufzusuchen. Es gibt aber auch Leute, die gehen dort hin, um Champagner zu saufen.
Ich möchte also ins Internet: Apple oder PC? fragt mich meine Begleiterin. Apple antworte ich spontan und bin verdutzt über diese Frage. Nach meinen Computervorlieben wurde ich bisher noch nie in einer Lounge gefragt. Ich beginne, meiner Begleiterin meine ganze Apple Geschichte zu erzählen und fange mit 1989 an. Und während ich so über meine ersten Macs rede, gehe ich brav an der Seite meiner Begleitung weiter. Ich denke, sie interessiert sich für meine geschichtsträchtigen Macs. Schließlich lächelt sie ja nach jedem Satz, den ich sage. Sehr weit komme ich mit meiner Apple-Geschichte aber nicht, 1992 habe ich ihr noch erzählen können, denn da sind wir ganz am Ende dieser Lounge angekommen, weiter geht es nicht mehr. Dort lächelt sie besonders freundlich. Hinter einer Trennwand steht ein großer Apple IMac. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet: Tatsächlich ein IMac – wie in meinem Büro. Mit großem Bildschirm, so dass ich alles ohne Brille lesen kann. Ich bin beeindruckt. Tief beeindruckt.
Meine Begleitung bietet mir den Platz an. Sie macht es nach bester Schule: Erst Stuhl zurückziehen, damit ich mich überhaupt setzen kann und sobald ich mich setzen möchte, den Stuhl dann nach vorne schieben, damit mein Hintern beim Hinsetzen auch tatsächlich auf dem Stuhl landet. Das will geübt sein. Sie hat diese Übung. Da sitze ich nun vor einem Mac und einem großen Schreibtisch. Ob ich etwas trinken wolle? fragt sie mich. Ja, einen doppelten Espresso und etwas Wasser bitte – und wenn es Kuchen gäbe, wäre es toll, denn mir ist gerade nach etwas Kuchen (mir ist schon seit Wochen nach gutem Kuchen zumute und hoffe, hier ein gutes Stück zu bekommen).
Nach 2 Minuten kommt ein Mann mit dem Servierwagen. Darauf sind der Espresso, eine Zuckerdose mit all nur erdenklichen Zuckerarten, dann das gewünschte Glas Wasser und eine Auswahl an handlich kleiner Kuchenstücke. Ich wähle drei aus. Er serviert sie auf einem Teller mit Kuchengabel und reicht dazu eine Stoffserviette. Die Kuchenstücke schmecken so gut als ob sie von einem schweizer Konditormeister kommen. So umsorgt gehe ich ins Internet und beantworte kein einziges Mail. Ich bin halt einfach mal nicht da, denke ich mir, und schaue mir im Internet lieber die Tagesschau an, und gewiss auch das Mucforum, um zu sehen, was dort an Neuigkeiten aufgelaufen sind, denn neugierig bin ich schon.
Doch ich kann die Lounge und den Service nicht so richtig genießen, denn ich bin der einzige in diesem privaten Refugium. Da sitz keiner im Bürobereich an dem Mac und an den PCs (die gibt es auch). Da sitz keiner in den breiten Sesseln. Da sehe ich keinen Inder, der mit mir vielleicht auch nach Delhi fliegt. Da sitzt auch keiner in dem Edel-Restaurant, das noch edler ist als das Restaurant in der „normalen“ First Class Lounge. Ich schaue in das „bessere“ Restaurant herein, und schon werde ich angesprochen vom Koch mit seiner Mütze: Gerne brät er mir ein Steak, oder eine Hamburger aus bestem Rindfleisch, oder Fisch, wenn ich es denn wünschen würde, sagt er. Nein, nein, sage ich – ich will nur schauen. Just a view.
Ich erinnere mich, dass ich von diesem Restaurant ein Foto machen wollte, nur zur Dokumentation, damit man mir später glaubt, dass Singapore Airlines mir einen Hamburger nach meinen persönlichen Wünschen braten wollte. So etwas glaubt einem ja keiner, wenn man kein Beweisfoto hat. Ein Hamburger in der First Class Lounge? Nur bestes Rindfleisch? Ohne ein Stück Fett? Unglaublich! Ich habe das Foto aber nicht gemacht. Das Restaurant war leer, nur der Koch war da, und ich fand es in der Situation unpassend, mit meinem IPhone ein leeres Restaurant mit Koch zu knipsen, oder den Koch zu bitten, mich in diesem Restaurant mit der Kamera aufzunehmen, während ich mit Messer und Gabel einen Hamburger esse. Heute ärgere ich mich darüber, denn die ganze Szenerie hatte schon etwas Dekadentes. Hätte ich mir doch den Hamburger braten lassen!
Ich habe mich in der Lounge nicht so wohl gefühlt, weil ich mich kaum mehr frei bewegen konnte, ohne angesprochen zu werden. Als ich den exklusiven Bereich der Lounge verlassen und das „andere“ Restaurant im „normalen“ First Class Lounge Bereich besuchen will, da sagt mir die Empfangsdame, dass man mir auch alles hier servieren werde, was dort angeboten wird. Ich setze mich aber in das andere Restaurant, wo ich nicht der einzige bin. Da fühlt man sich dann nicht so alleine. Dort gibt es ein Buffet – ein gutes Buffet. Davon nehme ich etwas und lese Zeitung. Dann bin ich wohl losgegangen, um zum Flieger zu kommen. Ich weiß nicht mehr, wie ich dort hingekommen bin. Ich weiß nur noch, dass ich der letzte war, der in die Boeing 777 einstieg – und jetzt, wo ich das niederschreibe, erinnere ich mich wieder, wie es dazu kam: Ich bin noch Einkaufen gegangen. Denn in Singapore gibt es am Flughafen einen Laden, der wirklich nützliches Zubehör für mein IPhone und Apple hat. Dieses Geschäft besuche ich immer, wenn ich an diesem Flughafen bin. Diesmal habe ich mir ein mobiles Lautsprechersystem gekauft – handlich klein und vom Klang dennoch sehr gut (seitdem kann ich in jedem Hotel meine Lieblingsmusik hören!) und mich mit der Zeit etwas vertan. Dann muss ich zum anderen Terminal fahren. Auch diese Fahrt habe ich zeitlich etwas unterschätzt. Es ist eigentlich eine ganz nette Fahrt in einem Zug, der erstens keinen Zugführer und zweitens keine Schienen hat, sondern ferngesteuert ganz automatisch auf Gummirädern daherkommt. So ein Gummirad-Zug fährt mich also zum dem Terminal, wo der Flug nach Delhi abgeht. Dort hat man am Gate schon nach mir gesucht (sogar in der Lounge angerufen). Alle sind schon an Bord, nur ich noch nicht. Mir war das zum Glück beim Einkaufen nicht bewusst, denn sonst hätte ich etwas Panik bekommen, dass der Flieger vielleicht ohne mich nach Delhi fliegt. So besteige ich aber gelassen und ohne Adrenalinschub als letzter die Boeing nach Indien – mit etwas schlechtem Gewissen, weil ich der letzte bin.
Und da sehe ich ihn nun, den neuen First Class Sitz der Singapore Airlines. Es ist Sitz 2 A. Ein breites Teil. Bestimmt einen Meter breit. Zumindest so breit, dass man nicht weiß, auf welche der beiden Armlehnen man einen seiner beiden Arme auflegen soll – entweder auf die linke oder auf die rechte. Das ist ein echtes Problem. Da haben sich auch schon Fluggäste beschwert, erzählt mir die Stewardess. Deswegen gibt es jetzt ein mobiles Extra-Armlehn-Teil, so 15 Zentimeter breit und hoch und vielleicht 40 Zentimeter lang – ein Teil aus beigem und edlem Leder, das sich der Passagier entweder auf die linke oder rechte Seite legen kann. So wird der Sitz etwas enger. Dafür kann man dank diesem Teil nun auch seine Arme auflegen. Und seine Arme auflegen sollte man schon können, gerade in der ersten Klasse.
Ich versuche dieses Dilemma einmal bildhaft zu erklären: In der Economy führe ich immer Ellbogenkämpfe aus, ob nun mein Nachbar oder ich die Mittelarmlehne nutzen darf (meist gewinne ich). Denn mein Arm will irgendwo aufliegen. Das ist notwendig, wenn man zum Beispiel eine Zeitung lesen will. Da findet der Ellbogen auf der Lehne seine notwendige Abstützung. Im First Class Sitz der Singapore Airlines dagegen hat man gar keine Möglichkeit, seine Arme irgendwo aufzulegen, wenn man sich genau in die Mitte des Sessels setzt. So kann man eine Zeitung nur unbequem lesen, denn der Ellbogen muss in der Luft gehalten werden. Das ist ganz schön anstrengend. Wer es nicht glaubt, soll es mal ausprobieren, ohne Armlehne im Flugzeug eine Zeitung zu lesen – zum Beispiel die Süddeutsche. Das geht nicht. Armlehnen haben also schon ihre berechtigte Funktion.
Dieser First Class Sitz ist also einfach anders, anders als alle First Class Sitze anderer Airlines, die ich bisher erlebt habe. Der Sitz ist ein wuchtiges Teil, ja sogar extrem wuchtig! Das muss man so sagen. Er ist genauso wuchtig wie der neue Business Class Sitz von Singapore Airlines im A 380. Den kenne ich ja schon. Und weil ich diesen Sitz ja schon im Praxiseinsatz kenne (er ist ein außergewöhnlicher Businessclass-Sitz) kommt heute mein kleines Frust-Erlebnis. Ich hatte mich ja auf ein Raumwunder gefreut – besser als die C-Class im A 380. Denn die Bilder von der neuen First waren ja in Internet vielversprechend. Ich dachte, dass ich genauso wie die abgebildete Frau bauchlings auf dem Bett liegen könnte - mit dem Laptop am Kopfteil. Doch es kommt anders:
Der neue First Class Sessel ist von den Abmessungen genauso wie der neue Business Class Sessel – nicht breiter, nicht länger, nicht größer. Nur in den Materialien unterscheiden sich beide Sessel. First hat Holz, Business hat Plastik, die First hat das bessere Leder und den breiteren Bildschirm, mehr aber auch nicht. Auch die Bettkonstruktion ist identisch: Die Rückenlehne wird nach vorne geklappt, schon ist das Bett fertig – sowohl in der First wie auch in der Business Class. Man liegt hier und dort flach, aber immer quer im Winkel, wenn man sich auf 2 Meter ausstrecken möchte. Nur das Bettzeug ist besser: Daunen und Satin. Und es gibt in der First Hausschuhe.
Ich glaube auch, dass der Sitzabstand fast identisch ist – vielleicht hat die First ein paar Zentimeter mehr, aber sehr viel mehr können es nicht sein. Jedenfalls sitzt man in der First genauso eingebaut, wie in der A 380 Businessclass von Singapore Airlines (ich habe darüber in meinem letzten Reisebericht geschrieben). Auch im First-Sitz ist links und rechts ist ein permanenter Sichtschutz, der auf der Fensterseite mehr als ein ganzes Fenster verdeckt. Dann kommen zwei Fenster, die nicht verdeckt sind und aus denen man deshalb tatsächlich heraus sehen kann. Dazu muss man sich aber etwas nach vorne beugen. Nach den zwei freien Fenstern kommt dann auf Augenhöhe der grosse Flachbild-Bildschirm, die Füße streckt man unter dem Bildschirm aus. Platz und Raum ist also schon da – nur kein Raumgefühl: Ich habe nur gefühlte zwei Fenster Abstand zum Vordersitz, während es bei Thai oder Lufthansa bis zu 5 gefühlte Fenster-Abstand sind – weil man da aus den 5 Fenstern auch tatsächlich heraus schauen kann.
Ich bin in diesem Sitz eingebaut, sehr privat eben. Das ist auch Absicht von Singapore Airlines. Man soll sich privat fühlen. Für die Privatsphäre sorgt der Sichtschutz. Wenn ich denn sehen möchte, wer in meiner Sitzreihe mit mir im Flugzeug sitzt, dann muss ich mich nach vorne beugen. Das tue ich auch auf dem Flug nach Delhi – und damit geht mein Bericht über diesen Flug weiter: Ich sehe Inder – nur Inder. Die ganze First Class ist voll mit Indern ausgebucht – kein einziger Asiate, kein Amerikaner - ich als Europäer bin auf diesem Flug der Exot. Auf den beiden Mittelsitzen neben mir sitzt ein älteres indisches Ehepaar. Er hat den Turban auf dem Kopf, sie ist mit farbenfrohen bunten Stoffen gekleidet, ihre Füsse sind aber nackt. Sie reden kaum miteinander. Beide essen sehr bald nach dem Start – und zwar nur den wichtigen Teil des Menus – den indische Hauptgang. Daran erinnere ich mich noch sehr genau, denn die Tischsitten hatten es in sich, gerade von der indischen Frau. Sie war von zierlicher Gestalt und hatte eine eigenartige Sitzhaltung - ein nackter Fuss war unter ihrem Hintern auf dem Sitz (ein)geklemmt, das andere Bein mit nacktem Fuss lag vorne auf der Fussablage. In dieser interessanten Sitzhaltung hat sich die Inderin mit dem Oberkörper sehr weit nach vorne gebeugt, um so den Hauptgang zu essen: Der Kopf ging zum Teller und zur Gabel, und nicht umgekehrt. Man würde sagen: schlechte Tischmanieren. Die indische Dame konnte sich das aber leisten. Ich vermute, dass sie einer sehr hohen Kaste angehört, vielleicht sogar der höchsten (was es mit den Kasten in Indien auf sich hat, davon berichte ich später).
Die zierliche und vermutlich hochkastige Frau und ihr ältere Ehemann mit Turban hatten ihre Tochter dabei: Sie war anders, sie war ganz schwarz und westlich gekleidet – nur der rote Punkt auf der Stirn gab ihr die indische Identität. Sie saß vor mir auf 1 A und machte keine Anstalten, mit mir den Platz wechseln zu wollen, damit sie mit ihren Eltern in der gleichen Sitzreihe sitzen kann. Sie ist auch nur zweimal während des Fluges aufgestanden, um kurz mit Ihren Eltern zu reden. Es waren skurze Unterhaltungen. Sie war nicht zierlich schlank wie die Mutter, sondern eine Wuchtbrumme. Gewiss 120 Kilo auf 170 cm Körperhöhe oder mehr. Für sie war der neue First Class Sitz maßgeschneidert. Ich habe mir auf dem Flug lange überlegt, ob sie die Tochter ist oder nur oder eine Begleitung. Ich denke: Sie war Tochter – denn ihr Auftreten war für indische Verhältnisse nicht dienend, sondern westlich kess, worüber sich die Eltern vermutlich nicht freuten. Jedenfalls sah ich kein Anzeichen eines Lächelns in den Gesichtern von der Mutter im bunten Stoff und vom Vater mit seinem Turban.
Auch alle anderen Fluggäste in der First Class waren Inder. Turbans hier und da – da fühlt man sich fast schon in Indien, obwohl man erst gerade in Singapore losgeflogen und noch lange nicht in Indien gelandet ist. Dafür sorgt auch mein Hintermann: Er hat keine Turban auf dem Kopf, sondern ist ein ergebener Inder. Er sitz auf 11 A in der Business Class. Das ist der Sitz hinter 2 A, der erste Sitz in der Business Class. Da hat man Platz! Dieser Sitz 11 A hat vier nicht verdeckte Fenster Abstand bis zur Trennwand - der Wand, die die First von der Business Class trennt. An dieser Trennwand ist sein Bildschirm angebracht, also nicht ganz so nah, wie auf allen anderen Plätzen in der First oder Business Class. Das gibt mir das Gefühl, dass man genau auf diesem Platz eben wirklich Platz hat. Raum also. Freiraum. Man ist zumindest auf diesem Platz 11 A nach vorne nicht so eingebaut wie ich auf 2 A. Dazu muss man wissen, dass ich ein Mensch bin, dem das Gefühl für freien Raum wichtiger ist als die Privatsphäre (ich bin einfach nicht gerne eingeengt). Genau das sage ich auch dem Inder (der da hinter mir auf 11 A sitzt) in meinem urigem Englisch: „Your Seat is the best in the plane – plenty of space! You must be a happy man!“
Damit habe ich ungewollt einen neuen Freund gewonnen. Der Inder – westlich gekleidet sogar mit Schlips – hält sofort meine Hand ergeben mit seinen beiden Händen. Das ist mir zu viel Nähe, die ich aber dulde. Er stellt sich vor – ein Bankfachmann ist er. Er fragt mich, wer ich bin, was ich in Singapore gemacht habe, warum ich nach Indien fliege – er fragt mich alles in einer ergebenen Art. Er gehört vermutlich nicht der obersten Kaste an, sondern denkt gewiss, dass ich ein ganz wichtiger Mensch sein muss, weil ich erstens aus der First Class komme und noch dazu lockere, bequeme Kleidung trage. Dabei bin ich nicht wichtig, und die lockere Kleidung trage ich nur, weil es beim Fliegen bequem ist – egal, ob ich meist in der Economy, oft in der Business- und manchmal in der First sitze. Die Kleidung bleibt die gleiche.
Ich schreibe in diesem Beitrag oft über Sachen, an die ich mich heute noch erinnern kann, denn die Reise ist ja schon mittlerweile fast 6 Monaten her. Ich erinnere mich also noch an die Taxifahrt, an die Lounge, an die anderen First Class Gäste und an meinen Hintermann. Doch ich erinnere mich nicht mehr an den Flug an sich, ebenso wenig an das Abendessen und auch nicht an das Unterhaltungsprogramm von Singapore Airlines. Ich kann also nur als der Speise- und Getränkekarte „vorlesen“, was es auf diesem Flug angeboten wird. Die Karte hat 20 Seiten und ist exklusiv für diesen Flug nach Delhi gedruckt, weshalb ich sie mitgenommen habe als Erinnerungsstück. Es ist alles in Englisch und in Indisch beschreiben. Sie wird in einem Ledereinband gereicht. Und so sieht das Abendmenue auf meinem Flug aus: Es gibt erst einmal Canapes an einer Nußsauce, gefolgt von einem Waldorf Salat mit Lachs oder Krabbenfleisch in der Avocado, dann wird eine Hühnersuppe oder eine indische Peffersuppe gereicht, gefolgt vom Cesar Salat. Dann ist man beim Hauptgang gelandet. Da gibt es drei Gerichte zur Auswahl: Huhn mit Gemüse und Kartoffeln, eine Fischrisotto oder Lammkoteletts mit Broccoli, Tomaten und einem Olivenkartoffelpürree. Dieses habe ich dann auch gewählt. Die Fresserei geht aber noch weiter, es kommt das Dessert: entweder warmen Pudding mit Vanilleeis, oder Kiwis ebenfalls mit Eiscreme. Mit einer Auswahl guter Käsesorten wird der Magen geschlossen, bevor es noch zum Abschluss Pralinen gibt. Vermutlich habe ich mich durch das Menue durchprobiert, aber bestimmt nicht alles aufgegessen, vielleicht sogar den ein oder anderen Gang ausgelassen. Ich weiss ich nicht mehr. Ich erinnere mich aber noch gut daran, dass ich mir einen Cocktail gegönnt habe. Singapore Airlines ist die einzige Fluggesellschaft, die ihren First Class Passagieren Cocktails mixt – wie in einer guten Bar. Ich wähle den Silver Kris Sling mit Gin, Cointreau, Orangen- und Ananassaft, abgerundet mit Champagner – weil dieser Cocktail gerade als Special auf der Karte steht. Ich hätte natürlich auch einen Singapore Sling wählen können. Oder einen Solitaire Dreams. Oder einen Daiquiri. Oder, oder, oder. Es ist schon hohes Niveau, was mir geboten wird. Trotzdem kann ich mich an den Flug an sich nicht mehr genau erinnern. Laut Flugplan sind wir kurz vor 7 Uhr abends gestartet, dann etwas mehr als 5 Stunden geflogen, um noch weit vor Mitternacht in Delhi zu landen. Und ab der Landung setzt meine Erinnerung wieder ganz bildhaft ein – so, als ob es gestern gewesen wäre: Ich bin in Indien! Das ist nach dem sauberen und geordneten Singapore immer ein sogenannter „Kulturschock“ selbst sogar für sehr umstellungsbreite Männer wie ich einer bin. Es ist ein positiver Schock für mich. Davon aber später.