Schubumkehr-Aktivierung

MatthiasGK

Mitglied
Hallo wertes Forum,

mein Name ist Matthias und ich bin neu hier, nachdem ich als Gast einige Zeit mitgelesen und viel gelernt habe. Zunächst möchte ich mich daher bei allen Forumsteilnehmern - insbesondere den Professionellen - bedanken, die jeden Tag aufs Neue durch ihr großartiges Wissen für Erhellung sorgen. Mich interessieren an der Luftfahrt vor allem die technischen Zusammenhänge und die Navigation.

Nun zu meiner Frage: Im Rahmen eines Referats beschäftige ich mich mit der Schubumkehr. Ihre Funktion und Aktivierung am Boden sind mir laienhaft klar. Ich bin aber auf den Flug Lauda 004 gestoßen, bei dem sich die Schubumkehr fatalerweise während des Reiseflugs geöffnet hat. Ich habe aber nicht herausfinden können, warum es dazu gekommen ist. Laut Wikipedia sei es ein Fehler in der Bordsoftware (?). Der Untersuchungsbericht bringt aber nichts dazu hervor (http://www.rvs.uni-bielefeld.de/publications/Incidents/DOCS/ComAndRep/LaudaAir/LaudaRPT.html).

Meine Frage daher: Ist es allgemein (nunmehr) überhaupt möglich, dass sich die Schubumkehr versehentlich oder unkontrolliert während des Fluges aktiviert? Gibt es angesichts des Zwecks der Reverser keine Mechanismen, die dies verhindern? Und schließlich: Ist ein Flugzeug in solch einem Zustand kontrollierbar?

Vielen Dank und Gruß

Matthias
 
Die genaue Art und Weise wie die Logik zur Aktivierung von Reverse Thrust ausgeführt wird und wie der Flieger vor einer unbeabsichtigten Aktivierung geschützt wird, kann bei jeder Airframe/Engine-Kombination unterschiedlich sein, da sowohl die Hardware des Fliegers als auch die des Triebwerks (bes. FADEC) betroffen ist und sich zwangsweise Schnittstellen ergeben.

Während es bei den Jets der ersten Generation möglich und teilweise auch üblich war, in der Luft Reverse Thrust zu benutzen (z.B. DC8), wurde dies mit dem Einzug der Hi-Bypass-Engines durch ein 2-fach redundantes System verhindert.

Ein Inflight Reverse Deployment ist im Optimalfall mit Glück zu handeln, in aller Regel wird es aber zum Verlust des Fliegers führen, da besonders im High-Power/High-Speed-Bereich (wie bei Lauda gesehen) binnen Sekunden ein 'Upset' (also eine ungewöhnliche Fluglage mit extremen Pitch- und Bankwerten) daraus wird, der von den meisten Piloten mangels entsprechenden Recovery-Training nicht korrigiert werden kann. Ausserdem sind die Chancen sehr hoch, dabei die strukturellen Design-Limits der Zelle deutlich zu überschreiten.

Wie genau die Fehlersequenz bei dem Lauda-Unfall war müsste ich versuchen herauszufinden, allerdings wurde die Systeme in Folge daraus ein weiteres Redundanz-Level eingefügt, das idR darin besteht, das über ein Absperrventil dem ganzen Hydraulik-Kreis (oder Pneumatikkreis) des Reverse Actuators der Saft abgestellt wird und erst dann freigegeben, wenn durch eine 2. Instanz (also anderer Computer etc) festgestellt wird dass eine gültige Reverse Anforderung vorliegt und alle Vorbedingungen erfüllt sind.

Beim A320 mit CFM56-Motoren sieht das System im Groben so aus:

Solange nicht mindestens 1 SEC via TLA (Thrust Lever Angle) ein gültiges REV-Signal liefert, bleibt das Shut-Off Valve zu und das ganze System in funktionunsfähig.

Ist das Shutt-Off-Valve geöffnet muss als nächstes das Pressurizing Valve auf und das tut es nur, wenn beide LGCIUs 'Both Main Landing Gear = Compressed' melden UND das FADEC über einen eigenen (vom SEC getrennten Sensor) ebefalls TLA = Rev melden.

Desweiteren gibt es eine komplexe Protection-Logik, für den unwahrscheinlichen Falle eines uncommanded Reverser-Deployment bestehend aus einer Auto-Restow-Function und einer IDLE-Protection, die kurz gesagt versucht den betroffenen Motor auf Idle Thrust zu regeln, um die o.g. Folgen eines Inflight-Deployment abzumildern und der Crew mehr Zeit zu reagieren zu geben.

Näheres findest Du auf der Seite www.smartcockpit.com. Leider ist das A320 FCOM Kapitel 'Powerplant' dort zur Zeit nicht verlinkt (oder habe ich da Tomaten auf den Augen?). Daher hier dieser Link zum FCOM des A330 , das ist recht ähnlich. Wenn Du mir per PN Deine Email-Adresse schickst, dann kann ich das entsprechende A320-Kapitel zuschicken.

Tatsächliche und unbeabsichtigte Reverse-Deployments sind mit dem System so gut wie unmöglich. Allerdings sind die Folgefehler auf andere Systeme im Falle eines fälschlicherweise gemeldeten Deployments zum Teil beachtlich, wie man gerade bei der BA056 in JNB gesehen hat, bei der wohl auf einem oder zwei Motoren während der Rotation fälschlicherweise ein Deployment gemeldet wurde und deswegen die Leading Edge Devices an der Tragfläche eingefahren sind.

Viele Grüße,

MAX
 
Hallo MatthiasGK,

ich bin kein Pilot und kann Dir nichts zum aktuellen Stand der Technik sagen. Prinzipiell ist es aber so, dass nach dem Unglück der Lauda Air zahlreiche Sicherungsmaßnahmen getroffen wurden... u.a. wurde die Aktivierung der Schubumkehr an eine Ground-Logik gekoppelt - Sensoren müssen bestätigen, dass sich das Flugzeug tatsächlich am Boden befindet.

Ich habe mich vor Jahren mit dem Thema aus anderen Gründen beschäftigt, da ich damals viel mit dem Thema Funktionale Sicherheit, Software-Sicherheit und Software-Test zu tun hatte.
Der Airbusabsturz der LH 2904 in Warschau war damals vieldiskutiertes Thema, denn die eingebaute "Sicherheit" in der Software hat damals die Aktivierung des Umkehrschubes verhindert und so nicht ganz unerheblich zum Unglück mit beigetragen. Hätte die Möglichkeit bestanden den Umkehrschub ohne Sicherungsmechanismen manuell zu betätigen, wäre das Unglück in diesem Fall vermutlich vermieden worden (hätte es damals nicht geregnet, oder hätten die Piloten die "Denkweise" des A320 genau gekannt, so hätte das Unglück aber ermutlich auch vermieden werden können... wie so oft gab es eine unglückliche Konstellation mehrerer auslösender Faktoren).

Hier eine Ausarbeitung an der UNI von damals - Der Airbusabsturz LH2904 in Warschau - da werden so einige Zusammenhänge erklärt.

Wie die sicherlich herstellerabhängige Lösung heute aussieht, das kann ich Dir nicht sagen. Ich glaube aber hier im Forum gelesen zu haben (Max Reverse, wernerhuss?), dass Airbus-Piloten der LH gelernt haben bei schlechten Wetterverhältnissen (starker Regen, Scherwinde) etwas härter als normal unbedingt notwendig (bzw. härter als aus komfortgründen üblich) aufzusetzen, damit die Ground-Logik auf alle Fälle sofort weiß was Sache ist... und daher dann sowohl die Aktivierung des Umkehrschubes als auch die Benutzung der Radbremsen "zeitnah" freigibt.

Ich hoffe das hilft schon mal als Einstieg.

Beste Grüße,
der Airdinger.
EDIT: Ich sehe gerade Max Reverse hat die technischen Details schon geliefert... :resp:
 
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Vielen, vielen Danke für den Bericht von der TU München. Ist fantastisch erklärt und nachvollziehbar. Beim lesen sind mir noch ein paar Fragen eingefallen die sich auf das PDF beziehen:

Seite 7/ Normal Braking
Im Flug ist dies der Fall, sobald der Pilot den Landehebel betätigt, und somit
das Flugzeug in den Landezustand versetzt.

Was ist denn der Landehebel?


Seite 14/ 15.31:07 TWR
[...] ,call me Outer Marker,[...]

Will der Tower Lotse jetzt mit seinem Namen angeredet werden, oder ist das eine fliegerisch relevante Anweisung?

Grüße
Alex
 
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[...]
noch ein paar Fragen eingefallen die sich auf das PDF beziehen:

Seite 7/ Normal Braking


Was ist denn der Landehebel?

Frage ich mich auch! Hab von so einem 'Ding' noch nie gehört! Mir scheint, dass da was verwechselt wurde.

[...]
Seite 14/ 15.31:07 TWR


Will der Tower Lotse jetzt mit seinem Namen angeredet werden, oder ist das eine fliegerisch relevante Anweisung?

Grüße
Alex

Da im Ostblock Englisch nicht gerade die Stärke war, kommt diese etwas 'merkwürdige' Anweisung zu Stande: Eigentlich wollte der TWR-Lotse, dass er beim Überfliegen des OM kontaktiert wird.

Erinnert mich etwas an den Pilotenwitz:
Pilot:
...Tower, please call me a fuel truck.
Tower:
Roger. You are a fuel truck.
 
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Kann mir im Zusammenhang höchstens vorstellen, dass mit diesem ominösen "Landehebel", der Gear Lever gemeint ist, da dies spontan überlegt, das einzige Hebelchen ist, das das Flugzeug unbedingt davon in Kenntnis setzt, dass nun gelandet werden soll.

Fragt doch mal bei der BILD nach, die haben da sicher ne Antwort dazu. Bei denen sieht man nämlich auch Autos in 12192 Metern Höhe vorm Cockpitfenster :D .
 
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Bei der A330/340 Familie kann man ergänzend noch sagen, daß das "Independent Locking System", welches Max schon angedeutet hat, die Signale über die 3 Primary Flight Contr Comp. erhält und zwingend müssen die Radio Altimeter eine Höhe kleiner 6 ft melden:yes:
 
Zunächst einmal herzlichen Dank an alle, die mir durch ihre Antworten sehr geholfen haben.

Max Reverse, deine Ausführungen waren sehr erhellend. Danke. Wichtig für mich war zu erfahren, dass die Wahrscheinlichkeit eines in-flight-deployments auf dem heutigen Stand der Technik gen null läuft - verkürzt gesagt: Erstens, das pressurizing valve geht nur auf, wenn das landing gear am Boden ist und dazu das engine control reverse meldet. Daraus folgt, in Luft überhaupt nicht möglich. Zweitens, selbst wenn das irgendwie passieren sollte, geht der betroffene Motor auf idle. Daraus werden wohl auch die einwirkenden Kräfte abgemildert, was möglicherweise zu einem längeren Bestand der Struktur des Flugzeugs führen kann. Vorerst langt mir der Link zum A330, danke, ansonsten würde ich per PN auf dich zurückkommen.

Noch eine Frage: Würde man abgesehen von der Anzeige im Cockpit nicht akustisch wahrnehmen können, dass der Umkehrschub aktiviert ist? Und selbst wenn er aktiviert ist, kann man nicht in kürzester Zeit eine Deaktivierung vornehmen - wie am Grund -, solange die Struktur noch standhält (wenige Sekunden)?

Dank auch an Airdinger für seinen gut verständlichen Beitrag von der TU, der das Problem allgemeiner aus softwaretechnischer Sicht angeht.

Viele Grüße

Matthias
 
Was ist denn der Landehebel?

Ich meine auch, hier ist vom 'Landing Gear Lever' die Rede. Ansonsten s.u.

Will der Tower Lotse jetzt mit seinem Namen angeredet werden, oder ist das eine fliegerisch relevante Anweisung?

... Eigentlich wollte der TWR-Lotse, dass er beim Überfliegen des OM kontaktiert wird.

Die 100%ig korrekte Phraseologie wäre wohl 'Report passing Outer Marker' bzw. 'Report Outer Marker inbound', aber die og. ist genauso üblich und verständlich.

Erinnert mich etwas an den Pilotenwitz:
Pilot:
...Tower, please call me a fuel truck.
Tower:
Roger. You are a fuel truck.

Das Gegenstück dazu:

ATC: N xxx 'Are Victor-Mike-Charlie?'
N xxx 'Negative, we are Dick and Bob. ;D

Noch eine Frage: Würde man abgesehen von der Anzeige im Cockpit nicht akustisch wahrnehmen können, dass der Umkehrschub aktiviert ist? Und selbst wenn er aktiviert ist, kann man nicht in kürzester Zeit eine Deaktivierung vornehmen - wie am Grund -, solange die Struktur noch standhält (wenige Sekunden)?

Es würde ziemlich sicher zu einem erheblichen 'Buffeting' kommen, also aerodynamischen Schütteln der ganzen Zelle, weil in der Nähe des betroffenen Triebwerkes die Strömung um die Tragfläche ganz oder teilweise zusammenbrechen würden und diese Fläche damit zumindest lokal 'stallt', also die Strömung abreißt und dabei durch Verwirbelungen dieses Schütteln erzeugt.

Bei einer aerodynmisch ungünstigeren Kombination aus Menge/Richtung des Reverse Thrust und Flughöhe/Geschwindigkeit kann es aber auch sein, dass der Flieger direkt und unvermittelt in Richtung 'unusual attitude' abschmiert.

Es wäre also eine äußerst kurzfristige 'Action' seitens der Crew nötig, die in aller Regel nur darin bestehen kann, den betroffenen Motor einfach abzustellen. Da haben wir dann aber ein kleines Problem, denn gerade das Abstellen eines 'kranken' Motors läuft nach einer umfangreichen Choreographie, teils auswendig, teils nach Checklisten die nur eines zum Zweck hat: Unter allen Umständen zu verhindern, dass man den falschen Motor abstellt (bei einer 2-Mot wäre der Flieger damit quasi antriebslos). Dies ist die mit viel Blut, Schweiß und Tränen erkaufte Lehre aus etlichen Fällen, in denen quick&dirty der falsche Motor abgestellt wurde, als Beispiel sei nur die British Midland in Kegworth genannt.

Im hier beschriebene Fall wäre dieses umfangreiche und langwierige Procedure eindeutig kontraproduktiv und obwohl der CPT im Rahmen seiner 'Emergency Authority' auch befugt wäre, sich über die bestehenden Verfahren wo nötig hinwegzusetzen um die Sicherheit von Mensch und Material zu gewährleisten, würde das schon einige Überwindung kosten und außerdem wäre für die 0815-Crew die Schrecksekunde wohl schon zu lange um noch erfolgreich sein zu können.

Ich meine mich erinnern zu können, dass man nach dem Lauda-Air-Unfall Versuche im SIM gemacht hat und beliebigen Crews das gleiche Fehler-Szenario eingespielt hat. Beim ersten Versuch - also ohne jegliche Vorwarnung - konnte keine Crew den Flieger recovern und selbst beim zweiten Versuch (als die Crew schon wusste was kommt) gelang es nur sehr wenigen Crews (weil man eben SOFORT den Motor abstellen muss). Erst beim dritten Versuch gelang es in einer nennenswerten Anzahl (NB: bei weitem nicht allen!) an Fällen den Flieger zu revovern.

Dank auch an Airdinger für seinen gut verständlichen Beitrag von der TU, der das Problem allgemeiner aus softwaretechnischer Sicht angeht.

Die Ausarbeitung ist ingesamt lesenswert, aber ganz erkennbar ohne fliegerisches Hintergrundwissen erstellt worden. So sind reihenweise Begriffe falsch bzw. sinn-entstellend übersetzt (und zwar so falsch, dass es nicht nur den Fachmann graust, sondern auch für nicht-Fachkundige Verwirrung entsteht). Ausserdem besteht offensichtlich kein operationelles Hintergrundwissen, ohne das die relevanten Zusammenhänge nicht wirklich verstanden werden können und somit auch kaum zum Leser/Zuhörer transportiert werden können.

Schade, denn innerhalb der TU wäre sicherlich irgendwo die nötige Sachkenntnis vorhanden gewesen. Desweiteren ist der Warschau-Unfall (neben einer Handvoll anderer Unfälle in den Anfangsjahren) eines der Schlüssel-Ereignisse gewesen, die erst den A320 zu dem gemacht haben was er heute ist. Daher ist es gerade so interessant die prozeduralen und technischen unterschiedlichen vor und nach Warschau zu vergleichen.

Viele Grüße,

Max
 
Ich meine mich erinnern zu können, dass man nach dem Lauda-Air-Unfall Versuche im SIM gemacht hat und beliebigen Crews das gleiche Fehler-Szenario eingespielt hat. Beim ersten Versuch - also ohne jegliche Vorwarnung - konnte keine Crew den Flieger recovern und selbst beim zweiten Versuch (als die Crew schon wusste was kommt) gelang es nur sehr wenigen Crews (weil man eben SOFORT den Motor abstellen muss). Erst beim dritten Versuch gelang es in einer nennenswerten Anzahl (NB: bei weitem nicht allen!) an Fällen den Flieger zu revovern.

Das stimmt, insbesondere konnte auch der Cheftestpilot der B767 keine erfolgreiche Recovery in kürzester Zeit durchführen, vgl. S. 25 f. des Berichts; http://www.rvs.uni-bielefeld.de/publications/Incidents/DOCS/ComAndRep/LaudaAir/LaudaRPT.html#2.3

"The Chief B767 Test Pilot of the Boeing Company was unable to successfully recover the simulator if corrective action was delayed more than 4 to 6 seconds."

Gruß

Matthias
 
Die Ausarbeitung ist ingesamt lesenswert, aber ganz erkennbar ohne fliegerisches Hintergrundwissen erstellt worden. So sind reihenweise Begriffe falsch bzw. sinn-entstellend übersetzt (und zwar so falsch, dass es nicht nur den Fachmann graust, sondern auch für nicht-Fachkundige Verwirrung entsteht). Ausserdem besteht offensichtlich kein operationelles Hintergrundwissen, ohne das die relevanten Zusammenhänge nicht wirklich verstanden werden können und somit auch kaum zum Leser/Zuhörer transportiert werden können.
Hallo Max,

damit hast Du sicherlich recht... und es war evtl. auch etwas unglücklich von mir, diese Ausarbeitung in ein Luftfahrt-Forum zu stellen... denn sie war (zwar vermutlich nach bestem Wissen und Gewissen - aber eben doch nur) von Softwerkern für Softwerker geschrieben.

Und das ist auch oft das Dilemma in der Informatik-Branche... jeder braucht heute Software. Software steckt inzwischen in wirklich fast jedem Gerät, aber nicht immer haben die Informatiker das "domainspezifische Know How" das bei der Entwicklung und bei der Kommunikation mit den Fachleuten hilfreich wäre. Informatiker wollen zwar zumeist alles verstehen und lassen sich Dinge gerne erklären, aber allzuoft werden sie nie die Gelegenheit haben, die Geräte die sie entwickelt haben, in der Praxis auch einmal zu benutzen. Sie sind zu oft nur Dienstleister in einer Entwicklung, sie setzen vorgegebene Anforderungen so gut wie möglich um, sie stecken aber nicht immer wirklich tief in der Materie.

Ich wünsche mir so manches mal, dass sich unter Ärzten, Anwälten, Bankern, Piloten & Co. mehr Leute rekrutiern liessen, die in die Informationstechnik abwandern um dort dann ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen einfliessen zu lassen.

Schade, denn innerhalb der TU wäre sicherlich irgendwo die nötige Sachkenntnis vorhanden gewesen.
Vermutlich ja. Die Frage ist nur immer wo. Nur weil es unterschiedliche Fachbereiche gibt, heisst das noch längst nicht, dass diese sich gegenseitig gut kennen.

Und selbst wenn, es geschieht so wie leider oft - man arbeitet sich in ein Thema ein und glaubt es [gut/befriedigend/ausreichend] verstanden zu haben.
Und man hat ja auch etwas verstanden... und deshalb sieht man nicht immer unbedingt einen Anlaß, das doch bereits verstanden geglaubte nochmals zu hinterfragen... speziell dann, wenn etwas relativ selbstversändlich zu sein scheint. Aber leider hat man dann nicht ganz genau das verstanden, was der andere in Wirklichkeit gemeint hat. Und das Gegenüber wiederum kann die tatsächlich entstandene Software nicht immer unbedingt wirklich beurteilen. Aus winzig kleinen Gaps sind schon die unglaublichsten und harrsträubendsten Fehler entstanden. Ich mag' gar nicht daran denken.

Desweiteren ist der Warschau-Unfall (neben einer Handvoll anderer Unfälle in den Anfangsjahren) eines der Schlüssel-Ereignisse gewesen, die erst den A320 zu dem gemacht haben was er heute ist. Daher ist es gerade so interessant die prozeduralen und technischen unterschiedlichen vor und nach Warschau zu vergleichen.
Das wäre jetzt ein Thema, welches mich wiederum interessieren würde...
Ist Dein Nähkästchen noch offen? ;)

Beste Grüße,
Airdinger.
 
Hallo Airdinger,

Danke für Deine Erläuterungen, ich bin da völlig Deiner Meinung und habe es mir in etwa so vorgestellt.

Ich habe auch mal 4 Semester an der 'Theoretischen Universität München' (Tschuldigung ;)) verbracht und konnte da tatsächlich bereits im Grundstudium eine extreme 'Konkurrenz' spüren, innerhalb des Fachbereichs und auch übergreifend. Schade eigentlich...

Ist Dein Nähkästchen noch offen? ;)

Aber immer.

Gruß MAX
 
Es wäre also eine äußerst kurzfristige 'Action' seitens der Crew nötig, die in aller Regel nur darin bestehen kann, den betroffenen Motor einfach abzustellen. Da haben wir dann aber ein kleines Problem, denn gerade das Abstellen eines 'kranken' Motors läuft nach einer umfangreichen Choreographie, teils auswendig, teils nach Checklisten die nur eines zum Zweck hat: Unter allen Umständen zu verhindern, dass man den falschen Motor abstellt (bei einer 2-Mot wäre der Flieger damit quasi antriebslos). Dies ist die mit viel Blut, Schweiß und Tränen erkaufte Lehre aus etlichen Fällen, in denen quick&dirty der falsche Motor abgestellt wurde, als Beispiel sei nur die British Midland in Kegworth genannt.

Im hier beschriebene Fall wäre dieses umfangreiche und langwierige Procedure eindeutig kontraproduktiv und obwohl der CPT im Rahmen seiner 'Emergency Authority' auch befugt wäre, sich über die bestehenden Verfahren wo nötig hinwegzusetzen um die Sicherheit von Mensch und Material zu gewährleisten, würde das schon einige Überwindung kosten und außerdem wäre für die 0815-Crew die Schrecksekunde wohl schon zu lange um noch erfolgreich sein zu können.

Da hätte ich jetzt mal eine Frage dazu: Wäre es denn so dramatisch, im Reiseflug auf Reisehöhe erstmal BEIDE Motoren abzustellen (=IDLE oder ganz aus??), um dann rauszukriegen, welcher der "kranke" Motor war, um anschliessend mit dem "gesunden" wieder Schub zu geben ? Ein A320 wird doch auch nicht sofort aus der Luft fallen, wenn er für 2 oder 3 Minuten keinen Schub mehr hat. Wesentlich länger sollte Herausfinden des "gesunden" Motors" nicht dauern. Und selbst wenn, mann muss ja nicht gleich auf Vollast gehen, sondern kann langsam hochfahren, und sehen wie der Vogel reagiert...
 
Da hätte ich jetzt mal eine Frage dazu: Wäre es denn so dramatisch, im Reiseflug auf Reisehöhe erstmal BEIDE Motoren abzustellen (=IDLE oder ganz aus??), um dann rauszukriegen, welcher der "kranke" Motor war, um anschliessend mit dem "gesunden" wieder Schub zu geben ? Ein A320 wird doch auch nicht sofort aus der Luft fallen, wenn er für 2 oder 3 Minuten keinen Schub mehr hat. Wesentlich länger sollte Herausfinden des "gesunden" Motors" nicht dauern. Und selbst wenn, mann muss ja nicht gleich auf Vollast gehen, sondern kann langsam hochfahren, und sehen wie der Vogel reagiert...

Grundsätzlich vermute ich das dabei das Risiko, auch ein intaktes Triebwerk nicht wieder starten zu können, unverhältnismässig hoch ist.
Mir erschliesst sich auch nicht der Sinn einer solchen Aktion. Denn wenn beide Motoren abgestellt sind verstummen auch die meisten der entsprechenden Anzeigen zur Fehleranalyse des defekten Motors.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da hätte ich jetzt mal eine Frage dazu: Wäre es denn so dramatisch, im Reiseflug auf Reisehöhe erstmal BEIDE Motoren abzustellen (=IDLE oder ganz aus??), um dann rauszukriegen, welcher der "kranke" Motor war, um anschliessend mit dem "gesunden" wieder Schub zu geben ? Ein A320 wird doch auch nicht sofort aus der Luft fallen, wenn er für 2 oder 3 Minuten keinen Schub mehr hat. Wesentlich länger sollte Herausfinden des "gesunden" Motors" nicht dauern. Und selbst wenn, mann muss ja nicht gleich auf Vollast gehen, sondern kann langsam hochfahren, und sehen wie der Vogel reagiert...

Nimms bitte nicht persönlich, aber die Idee ist so strange dass ich nicht weiter darauf eingehen möchte. Sich in einer hochdynamischen Situation selbt wertvolle Redundanz wegzunehmen ist nicht sehr sinnvoll.

Wenn Du mit akuten Bauchschmerzen in Krankenhaus kommst und der Arzt noch nicht sicher ist, ob es wirklich der Blinddarm ist dann kannst Du Dir ja sicherheitshalber zusätzlich Leber, Lunge und Milz entfernen lassen. Hinterher kann man ja dann langsam und in Ruhe...

Gruß MAX
 
Sich in einer hochdynamischen Situation selbt wertvolle Redundanz wegzunehmen ist nicht sehr sinnvoll.

Richtig, aber wenn man im Reiseflug Wind davon bekommt, dass sich der Reverse-Thrust -an welchem Motor auch immer- selbstständig macht:
Ist es dann wirklich sinnvoller die richtige Checkliste herauszukramen und Punkt für Punkt abzuarbeiten, als sofort beide Motoren abzustellen?

Was ich sagen will: gibt es nicht auch Notfälle, bei deren Lösung "fehlende Redundanz" das kleinere Übel wäre?
Immerhin sind geöffnete Reverser quasi ein Garant dafür, dass man die Einzelteile des Fliegers am Boden zusammensuchen darf.



Wenn Du mit akuten Bauchschmerzen in Krankenhaus kommst und der Arzt noch nicht sicher ist, ob es wirklich der Blinddarm ist dann kannst Du Dir ja sicherheitshalber zusätzlich Leber, Lunge und Milz entfernen lassen. Hinterher kann man ja dann langsam und in Ruhe...
Gruß MAX

Ich verstehe deine Analogie, aber das Entfernen innerer Organe erscheint mir etwas "finaler" als das Abstellen eines Motors. ;)
Das bringt mich dann auf die entscheidene Frage: Wie "unstartable" sind denn zeitgemäße, intakte Triebwerke (wenn die APU intakt und verfügbar ist..) im Flug?
Bei den Vulkanascheflügen hat's ja immer noch irgendwie funktioniert. Aber wie viel Glück gehört dazu?
Würde mich interessieren!

grüße
27L
 
Ich denke, es ist besser mit heiler Zelle in einem stabilen Flug/Schwebezustand zu sein, um dann zur Not im Gleitflug eine Notlandung versuchen zu können, als mit kaputter Zelle in einem instabilen Flugzustand mit Sicherheit abzustürzen.
Mag natürlich auch dazu beitragen, wo man gerade ist. Mitten im Gewitter über dem Pazifik ist es siher dramatischer, seinen kompletten Schub zu verlieren, und womöglich nicht zurückzugewinnen, als bei Kaiserwetter über Mitteldeutschland, wo alle Nase ein Landefeld vorhanden ist.
Wenn es zu gefährlich ist, den Schub auf Idle zurückzunehmen, dann eben auf 10% oder so zurückfahren? Es geht ja vor allem darum, die auftretenden Momente soweit als möglich zu reduzieren.
 
Ich denke, es ist besser mit heiler Zelle in einem stabilen Flug/Schwebezustand zu sein, um dann zur Not im Gleitflug eine Notlandung versuchen zu können, als mit kaputter Zelle in einem instabilen Flugzustand mit Sicherheit abzustürzen.
Mag natürlich auch dazu beitragen, wo man gerade ist. Mitten im Gewitter über dem Pazifik ist es siher dramatischer, seinen kompletten Schub zu verlieren, und womöglich nicht zurückzugewinnen, als bei Kaiserwetter über Mitteldeutschland, wo alle Nase ein Landefeld vorhanden ist.
Wenn es zu gefährlich ist, den Schub auf Idle zurückzunehmen, dann eben auf 10% oder so zurückfahren? Es geht ja vor allem darum, die auftretenden Momente soweit als möglich zu reduzieren.


Folgendes Szenario:

Im Reiseflug - APU natürlich aus - bekommt man eine REV UNLOCK WARNING
Man stellt beide TW ab - ab diesen Zeitpunkt hat man erstmal nur noch elec Power von den Batterien:o Sollte dann nicht automatisch die RAT ausgelöst werden (warum auch immer)..............

Oder:
die Geschw. bzw Höhe reicht nicht für ein ordentliches Windmilling aus und die APU springt nicht an........

Noch ergänzend:
Bei REV Unlock wird das TW automatisch auf IDLE Power zurückgesteuert
(in der Regel mit Ausnahmen)

Keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit:shut:
 
Zuletzt bearbeitet:
Ist es dann wirklich sinnvoller die richtige Checkliste herauszukramen und Punkt für Punkt abzuarbeiten, als sofort beide Motoren abzustellen?

Wenn sich ein Reverser mit bei Cruise-Power (oder einem noch höheren Powersetting) öffnet, wirst sich der Flieger binnen Sekunden in einem 'Upset' befinden, sprich eine ungewöhnliche Fluglage einnehmen.

Da niemand über Stunden mit den Händen am Engine Master Switch dasitzt, um im Falle des Falles sofort beide Engines zu cutten, wird es zu einer Verzögerung von wenigen Sekunden kommen, die bereits ausreichen wird, dramatische Bank- und Pitchwerte einzunehmen.

Weiter wurde ja schon geschrieben, dass nicht mal der Chief Test Pilot von Boeing das Szenario recovern konnte, wenn nicht so kurzfristig reagiert wurde, wie man das von einer beliebigen Crew im Ernstfall nicht realistisch erwarten kann.

Wenn nun ein mit allen Wassern gewaschener Profi den Flieger mit einem heilen Motor nicht recovern kann, dann möchtet ihr das 'dead-stick' hinbekommen? :resp: Beim A320 ergäben sich neben dem Reverse-Problem damit sofort Alternate/Direct Law (stark eingeschränkte bzw. ungewohnte Steuerbarkeit), Emergency Electric Configuration (nur noch wenige Bildschirme/Instrumente), Loss of Pressurization (Sauerstoffmasken aufsetzen), uvm.

Nochmals nichts für ungut, aber Ihr könnt das ja mit dem FS X mal testen und wenn Ihr es hinbekommt dann werden AI und Boeing sicher die Procedures anpassen ?!

Die bestehenden Verfahren in der Normal als auch in der Abnormal Operation sind bei allen Verkehrsflugzeugen größtenteils aus bitterer Erfahrung entstanden. Für Fälle in denen das 'Herauskramen der Checkliste' zu einer nicht akzeptablen Verzögerung führen würde, gibt es sog. 'Memory Actions' bzw. 'Immediate Action Items', welche jederzeit auswendig beherrscht und anwendbar sein müssen. Vor deren Anwendung ist jedoch eine kurze Verifizierung des Fehlers sowie des anzuwendenden Verfahrens überlebensnotwendig.

Wodurch sind mehr Flieger zu schaden gekommen? Durch ein Inflight Reverse Deployment oder durch quickfingermäßige Schaltungen einer Crew, die nicht mehr schnell genug reversibel waren?

Gruß MAX
 
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