Die letzte Entscheidung, ob enteist wird oder nicht hat der Kommandant. In einigen Skandinavischen Ländern, die naturgemäß umfangreiche und teilweise mit vielen Tränen erkaufte Erfahrung mit Cold-WX-Ops haben, kann es allerdings sein, dass die Enteisungsmannschaft eine Entscheidung PRO Enteisung trifft, welche die Crew zwar formal-juristisch übergehen könnte, ich fürchte aber dass ATC einem nicht gehen lassen wird, wenn der Enteiser sagt, es 'wäre nötig'. Völlig ok für mich.
Dazu gibt es ganz klare gesetzliche Bestimmungen, welche sinngemäß sagen:
A pilot shall not take off in an airplane that has
a) frost, snow, slush or ice on any propeller, windschield or power plant installation or adheering to airspeed, altimeter, rate of climb or flight altitude instrument system
b) snow, slush or ice on the wings or stabilizer or control surfaces or any frost on the upper surfaces of wings or sstabilizer or control surfaces
Kurz: Die Tragflächenoberseite muss zum Beginn des Startlaufes aerodynamisch 'sauber' sein. Wenn es einfach nur geschneit hat, wird dies mittels einfachem 'De-Icing' erledigt. Wenn aber aktuell Niederschlag besteht, wird es schon schwieriger, hier ist dann zusätzlich ein 'Anti-Icing' nötig.
Enteist wird grundsätzlich mit einer Mischung aus Glykol, heißem Wasser und Verdickungsmitteln, angepaßt an die Niederschlagsart und die Aussentemperatur. Die Anti-Icing-Fluids binden den fallenden Niederschlag chemisch, ohne dass dieser festfriert und scheren dann im Startlauf bei ca. 80 Knoten mit einem Schwups ab, sodaß die Fläche dann oben 'sauber' ist. Sieht recht interessant aus, wenn man das mal aus der Kabine sieht.
Muss nur wegen nächtlicher Rauhreifbildung de-iced werden, dann ist das recht einfach, auf manchen Stationen kann das sogar auf dem Vorfeld und vor dem Eintrieffen der Crew unter Aufsicht der Technik/Station geschehen. Selbst wenn es an der RWY gemacht werden muß, ist das meistens innerhalb von 5 Minuten erledigt.
Neben Niederschlag und Rauhreifbildung während der nächtlichen Bodenzeit macht oftmals 'Fuel-Icing' ein De-Icing nötig. Dabei bildelt sich Rauhreif oberhalb des in den Tanks befindlichen kalten Sprits, der sich umsomehr abkühlt, je länger der Flug dauert und je kälter die Temps im Reiseflug sind.
Wenn man nun aus welchen Gründen auch immer mit viel kaltem Sprit landet und im Anflug länger in feuchten Wolken rumturnt oder die Luftfeuchtigkeit am Boden hoch ist, dann hat man schnell die Oberseite der Tanks komplett voller Rauhreif, was sich auch bei deutlichen Plus-Temperaturen recht hartnäckig halten kann. Macht sich besonders gut auf südeuropäischen Stationen, auf denen es gar kein De-Icing gibt. Auf diese Weise haben wir mal die Kantine am Airport in Valencia sehr intensiv kennen gelernt.
Schwieriger wird es, wenn tatsächlich Niederschlag besteht. Hier muß dann die sog. 'Holdover-Time' (HOT) beachtet werden, die besagt wie lange die Chemie in der Flüssigkeit wirkungsvoll bleibt und innerhalb derer der Takeoff begonnen werden muss. Selbst die 'modernsten' Flüssigkeiten (Typ IV) stossen bei niederschlagsreichem Wetter schnell an Ihre Grenzen. Ausserdem fängt die HOT mit dem Beginn des 'Anti-Icing' an zu laufen, also tickt die Uhr schon während der Behandlung. 15 Minuten für Enteisung, Checklisten, Warten auf die Lücke Verkehr können schnell zu wenige sein.
Da in MUC bei Niederschlag meistens 2-Step-Procedure angesagt ist (erst Matsch runter als De-Icing mit Typ I, dann Protection durch Anti-Icing mit Typ IV), kann das dann schonmal länger dauern, auch wenn sebst bei medium FLiegern schon mit 3 Trucks gearbeitet wird. Vorletzten Winter hat es bei moderate Snow teilweise > 20 Minuten je Flieger gedauert!
Grundsätzlich gilt noch zu sagen, dass undere Tabellen nur für light to moderate precip gelten, bei starkem Niederschlag bewegt man sich schon in einer Grauzone. Bei Freezing Rain ist soagr schon bei -FZRA Schluss, wenn Ihr also den Airport dicht machen wollt, einfach nur mod. FZRA auf die ATIS und das wars.
Die Wahl der Flüssigkeit trifft normal der Enteiser, der ja auch das Wetter und die HOTs kennt. Allerdings hat auch hier wieder die Crew das letzte Wort, wobei in MUC ohnehin nur zwischen I und IV gewählt werden kann. Ich werde nachher mal versuchen eine HOT-Tabelle zu posten. Typ IV hat ziemlich starke Verdickungsmittel drin, was einerseits eine lange HOT ergibt, andererseits aber bei Fliegern ohne hydraulisch betriebenen Flight Controls zu teilweise üblen Problemem führen kann, wenn sich das Zeug in irgendwelchen Ritzen sammelt und dann später dort festfriert. Auf dem Avro durften wir eine Zeit lang gar nicht mehr mit Typ IV enteisen.
Ansonsten müssen wir für die ganze Enteiserei eine sehr lange Checkliste lesen und erst dann kommen die 'Items' welche normal nach dem Anlassen gemacht werden (Klappen fahren etc), d.h. nach Enteisungsende brauchen wir u.U. nochmal 5 Minuten bevor wir 'ready' sind.
Da besonders bei Dunkelheit und Niederschlag und Temperaturen um den Gefrierpunkt mittels Blick aus dem Kabinenfenster schwer zu beurteilen ist, ob 'das da draußen' nun angefroren ist oder nicht, können nur 'echte Helden' dies aus dem Cockpit beurteilen. Daher wird im Zweifelsfall einfach enteist. Eine Möglichkeit des 'Hands-On-Check' wie in Skandinavien üblich gibt es in D leider nicht und wenn ich auf irgendwelchen Leitern rumklettere um mal mit der Hand auf die Fläche zu fassen bin ich nicht versichert, muss diese Entscheidung 'im Zweifel' leider sehr oft getroffen werden.
Allerdings gibt es schon noch 'echte Männer' welche die Entscheidung, ob enteist werden muß oder nicht eher vom zu erwartenden Delay abhängig machen als vom Wetter. Da geht mir dann schon der Hut hoch, wenn wir 2 Stunden oder mehr warten als Number 30+ und dann kommen Kollegen mit tief verschneitem Flieger vorbeigerollt und sagen 'negative De-Icing'.
Die generelle Einstellung hat sich in den letzten Jahren nach einigen Unfällen nochmals geändert, während es früher trotz gleichlautender Vorschriften z.B. bei leichtem Flieger durchaus üblich war, mit ein paar m² Rauhreif auf der Fläche zu starten, wird jetzt einfach enteist. Das NTSB hat dazu ein paar schöne Bulletins veröffentlicht:
http://www.ntsb.gov/PressRel/2004/041229.htm Kurzum: Ein paar Salzkörner oben auf der Fläche reduzieren den Auftrieb um bis zu 30%. Hat sich aber offenbar noch nicht bis zu allen Companies rumgesprochen. :thbdwn:
Alle Klarheiten beseitigt?
Gruß MAX