Und nochmal, ich kappier es immer noch nicht: warum sind die Deutschen immer die letzten, die checken, was abgeht?
DIE ZEIT 23.02.2006 Nr.9
Schnell und ohne Skrupel
Die Chinesen wollen den Transrapid nachbauen. Exportiert der Westen seine Hochtechnologie zu leichtsinnig? Von Georg Blume
Der chinesische "Transrapid"
Wer hat eigentlich gedacht, dass die Chinesen den Transrapid nicht nachbauen würden? Gut, vielleicht wäre es taktvoller gewesen, die erste rein chinesische Magnetbahn-Teststrecke nicht gerade in Shanghai zu bauen – sozusagen im Nebengleis des Vorzeigeprojekts deutscher Bahntechnologie. Aber so ist es praktischer. Folglich werden in den nächsten Monaten viele ehemalige Auftragnehmer des deutsch-chinesischen Transrapid-Projekts ihren Arbeitsplatz zur Shanghaier Tongji-Universität verlagern, wo jetzt auf einer 1,5 Kilometer langen Teststrecke die erste in chinesischer Eigenentwicklung hergestellte Magnetschwebebahn zur Serienreife gebracht werden soll. Tatsächlich eine Eigenentwicklung?
Das Transrapid-Konsortium der deutschen Konzerne ThyssenKrupp und Siemens will diese Frage partout nicht interessieren. Der technische Entwicklungsstand des chinesischen Projektes sei unvergleichbar mit dem deutschen Transrapid, beschwichtigen die Konzerne. Immerhin räumen sie ein, dass allein die Existenz des Projekts ein Verhandlungspfund im Streit um den zukünftigen Ausbau der Shanghaier Transrapid-Strecke sei. Denn die Chinesen wollen bei der Verlängerung nur mitmachen, wenn sie beim Bau bis zu 70 Prozent aller Teile selbst herstellen dürfen. Sie sagen, sie würden sonst lieber warten, bis sie alles selbst bauen können. Die Deutschen aber möchten das Geschäft. Sie haben keine anderen Kunden. Also werden sie auch daran festhalten.
Deutsche Manager trösten sich gern damit, eben immer einen Schritt voraus zu sein. Beim Transrapid stellt sich allerdings die Frage, wie oft man diese Bahn eigentlich neu erfinden kann. Hinzu kommt, dass auch noch die deutschen Exporte nach China eingebrochen sind. Plötzlich zeigt die Handelsbilanz: Es herrscht zwischen den beiden Ländern keine Win-win-Situation mehr, in der alle profitieren. Stattdessen gibt es Gewinner und Verlierer.
Die Verlierer sind deutsche Unternehmen. Logisch, dass damit die Transrapid-Debatte neuen Stoff erhält. Die superschnelle Magnetschwebebahn in Shanghai war bislang das futuristische Symbol für die engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China. Jeder deutsche Minister, der China besuchte, wollte einmal in Shanghai Transrapid fahren. In Zukunft könnte das anders sein: Berlin geht auf Distanz zu seinem wichtigsten Handelspartner in Asien.
Die »Schieflage« im bilateralen Wirtschaftsverhältnis hatte zuerst der ehemalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement im November gesichtet. Trendbewusst wählte Bundeskanzlerin Angela Merkel anschließend einen neuen Ton gegenüber China: Nicht mehr von der wirtschaftlichen Partnerrolle Pekings, die Merkels Vorgänger Gerhard Schröder stets betonte, war bei ihr die Rede. Stattdessen baute Merkel in Reden und Interviews die Kulisse eines bedrohlichen Wettbewerbers im Fernen Osten auf. Deutlich wurde sie im Januar, während ihres ersten Besuchs im Weißen Haus in Washington: »Wir können die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht nur auf dem Kampf gegen den Terrorismus gründen. Wir haben Wettbewerber wie China, die sich an keine Regel halten«, warnte die deutsche Bundeskanzlerin.
China, das sich an keine Regel hält? Das sehen westliche Handelsexperten gewöhnlich anders. Sie betonen, welche großen Anstrengungen der Riese unternommen habe, seit er 2001 der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten ist. Er habe in raschem Tempo die Zölle gesenkt, Märkte geöffnet und Staatsmonopole beseitigt. China stehe deshalb bei den laufenden WTO-Verhandlungen jenseits der meistgehörten Kritik. Doch solche Argumente will man in Berlin derzeit nicht hören. Sie widersprechen den simplen Erklärungen für den Rückgang deutscher Exporte nach China.
Zwar erscheint die Entwicklung auf den ersten Blick undramatisch: Um 0,5 Prozent schrumpften 2005 die deutschen China-Ausfuhren zwischen Januar und November im Vergleich mit dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Doch hinter der mageren Zahl versteckt sich eine nachhaltige Wende. Tatsächlich legten die deutschen Exporte nach China in den sechs rot-grünen Regierungsjahren um durchschnittlich 23,1 Prozent rasant zu – mehr sogar als die Einfuhren aus China, die in den Jahren 1999 bis 2004 um durchschnittlich 20,35 Prozent stiegen. Deutschland spielte damit fast in der gleichen Liga wie Japan, das als einziges großes Industrieland bis heute einen deutlichen Handelsüberschuss mit China aufweist. Nun aber droht Berlin der Abstieg hinunter zu den übrigen Industrieländern, die seit Jahren rapide wachsende Defizite im China-Handel verbuchen.
Die Gründe dafür sind strukturell, liegen in der Natur der fortschreitenden Globalisierung. Beispiel Automobilsektor: Er umfasst derzeit 15 Prozent der deutschen Ausfuhren nach China. Exportiert wurde im ersten Halbjahr 2005 34 Prozent weniger nach China als im ersten Halbjahr 2004. Obwohl der chinesische Automarkt derzeit Wachstumsraten von mehr als 70 Prozent verzeichnet. Zwar hat dies auch mit den Absatzproblemen des Großinvestors VW zu tun, aber man kann daraus schließen, dass die deutschen Autohersteller und ihre Zulieferer immer mehr in China produzieren und dafür immer weniger Teile und Ausrüstung aus Deutschland benötigen. Das zeigt zudem, auf welch dünnem Boden die bislang beliebte Behauptung steht, dass deutsche Fabriken in China Arbeitsplätze zu Hause sichern. Dessen war sich ein Kanzler Schröder noch sicher. Auch Siemens-Aufsichtsratschef Heinrich v. Pierer wusste es ganz genau: Vier neu geschaffene Arbeitsplätze in China zählten für den Erhalt eines Arbeitsplatzes in Deutschland. Deutsche Wirtschaftsberater in China aber sehen das heute anders: Produktion, Entwicklung, Design – alles gehe nach China, nichts bleibe daheim.
Damit steht analog zum Thema Transrapid eine Neubewertung von Sinn und Zweck deutscher China-Investitionen ins Haus.
Welcher Nutzen bleibt für die deutsche Volkswirtschaft, nachdem der Exportboom verklungen ist? Über ihre Gewinne in China reden deutsche Unternehmen nicht. Allgemein gelten sie aufgrund hoher Anfangsinvestitionen als gering. Viel wichtiger aber sind die langfristigen Aussichten. Volkswagen galt lange als deutscher Glücksfall in China. Mit seinen zwei Joint Ventures beherrschten die Wolfsburger bis vor wenigen Jahren den chinesischen Pkw-Markt. Doch inzwischen erzielen die chinesischen Joint-Venture-Partner von VW größere Erfolge in der Kooperation mit General Motors. Zudem bauen sie eigene Marken auf. War VW am Ende nicht mehr als der Geburtshelfer der chinesischen Autoindustrie?
So sieht es Jesper Koll, Chefökonom der US-Investmentbank Merrill Lynch in Tokyo. »Produktionstechniken, geistiges Eigentum und Markennamen sind das einzige Kapital, das Länder wie Deutschland und Japan besitzen – man darf es nicht nach China verkaufen. Über Jahrzehnte erlangtes Know-how – etwa wie man einen BMW zusammenbaut – kann man in China binnen Monaten verspielen«, warnt Koll. Er verweist auf japanische Konzerne, die ihre China-Strategien zuletzt stark differenziert haben: Aus Sorge vor dem Technologietransfer geben Toyota, Canon & Co. keine Spitzentechnologie nach China mehr ab und bauen stattdessen wieder Fabriken in Japan. Sie seien vorsichtig geworden, weil sie, so Koll, nicht an die nächsten fünf, sondern an die nächsten fünfzehn Jahre dächten. »Die Japaner wissen, dass sie Technologie und Markennamen im Wettbewerb mit China verteidigen müssen.« Deutsche Unternehmen betrieben dagegen einen beängstigenden Ausverkauf in China, meint Koll.
Ausländische Unternehmensberater in China bestätigen das. Sie hören von ihren chinesischen Kunden immer wieder, wie leicht es sei, mit deutschen Partnern zu verhandeln. Bei ihnen gelte noch die Ehrenhaltung, dass an einem Geschäft zwei verdienen müssten. Vielleicht hat das auch Schröder noch gedacht – solange die Handelszahlen stimmten.