Wunder ohne Wirklichkeit
Der wahre Fluch des Transrapid
Von Gottfried Ilgmann und Klemens Polatschek
Die Magnetschwebebahn - ein deutsches Produkt
24. September 2006
Hermann Kemper aus Osnabrück ärgerte sich in seiner Jugend über das Geratter der Eisenbahn. Als Ingenieur entwickelte er auf eigene Faust eine lautlose Alternative und erhielt dafür 1934 das Reichspatent Nr. 643316, eine „Schwebebahn mit räderlosem Fahrzeug, die an eisernen Fahrschienen mittels magnetischer Felder schwebend entlang geführt wird“. Die Bundesrepublik Deutschland verlieh Kemper 1972 ihren Verdienstorden. Der Transrapid, der seine Idee als Schnellbahn zu verwirklichen versprach, jagte da bereits als Versuchsträger für acht Passagiere im Autobahntempo über eine Teststrecke in München-Allach. Im Todesjahr Hermann Kempers, 1977, entschied sich der Bundesforschungsminister für diesen Weg zum Hochgeschwindigkeitsverkehr der Zukunft.
Die Magnetbahn. Ein Deutscher hat sie erfunden, die deutsche Industrie hat sie entwickelt, und der deutsche Staat hat sie bezahlt, mit rund 1,2 Milliarden Forschungssubventionen. 1991 stellte die Bundesbahn offiziell die Einsatzreife des Systems fest. Gebaut wurde es in China - als Zubringer zum Flughafen in Schanghai über 30 Kilometer. Anfang 2004 nahm der Transrapid dort den Betrieb auf und beförderte seither fast sieben Millionen Passagiere mit 430 km/h zu Ticketpreisen von ein paar Euro.
Symbol für Leistungsfähigkeit Deutschlands
Wenn der Transrapid jetzt nach all den langen Jahren stirbt und nie eine weitere Strecke in Betrieb gehen wird, dann wird das nicht an dem Waggonbrand am 11. August in Schanghai liegen, bei dem niemand zu Schaden kam. Und es wird auch nicht an der Katastrophe liegen, die vorgestern auf der Versuchsstrecke im Emsland 23 Menschen das Leben kostete. Was immer die genaue Untersuchung der Unglücksursachen ergeben wird, die Aussagen der Hersteller zum Transrapid und seiner hohen Sicherheit bleiben gültig. Die Formulierungen in ihren Glanzbroschüren hätten vielleicht nicht suggerieren sollen, einer Magnetbahn könne systembedingt überhaupt nie etwas gefährlich werden - als sei sie den Regeln der Physik und menschlicher Schwächen enthoben.
Nein, die Zukunft wurde dem Transrapid schon vorher brüchig. Und falls er sie endgültig verliert, liegt es daran, daß er von einer Technik zu einem Symbol abgestiegen ist. Jenes Symbol, das so viele Politiker bis gestern an die Stelle von Tod und Zerstörung zog, das Symbol für technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands.
Immer wieder Enttäuschungen trotz vieler Gespräche
Der Symbolwert ist ungeheuer: die einzige einsatzfähige Magnetschnellbahn der Welt! Heute bestellt, morgen gebaut, Unterschrift genügt. Niemand sonst hat so ein Angebot parat, auch die Ingenieure der japanischen Bahngesellschaft JR Central nicht, die in ihren futuristischen Testzügen, umhüllt von tiefstgekühlten supraleitenden Magneten, schon ein Weltrekordtempo von 581 Kilometer pro Stunde fahren - und die selbst von Jahr zu Jahr auf eine stets ganz nahe Entscheidung ihrer Regierung warten, ihre Teststrecke zur offiziellen Magnetbahnachse Tokio-Osaka zu verlängern, zu offenbar realistisch geschätzten, aber utopischen Kosten von 67 Milliarden Euro.
Ungestört von solcher Konkurrenz, konnte also das deutsche Transrapid-Konsortium von Siemens und Thyssen-Krupp seine Vertreter viele Jahre lang in aller Welt die Klinken putzen lassen. Die Anzahl der Gespräche und durchaus schon teuren Vorstudien ist Legion - für Strecken in Holland, quer durch Europa, von London nach Glasgow, in Amerika an der Ost- und an der Westküste, durch die Vereinigten Arabischen Emirate und dann die chinesischen Projekte über Schanghai hinaus. Es wurde viel gesprochen und manches geprüft, und doch endete es bislang jedesmal enttäuschend.
Die Nerven lassen nach, die Sache spitzt sich zu
Die größte Kränkung: In Deutschland selbst ist keine der vielen vorgeschlagenen, durchgerechneten, vorgeplanten und umkämpften Transrapid-Strecken je in Bau gegangen. Auch die gebetsmühlenhaften Versicherungen des Herstellerkonsortiums, es brauche eine einheimische Referenz für die weltweite Vermarktung, erzwangen nie eine positive Entscheidung. Doch dieses Problem sollte sich eigentlich behoben haben. Für einen internationalen Investor weist das Projekt in Schanghai die Betriebsfähigkeit in gleicher Weise nach wie jede beliebige deutsche Strecke.
Verständlich ist nur, daß sich die Sache nach so vielen Jahren zuspitzt, weil die Nerven nachlassen. So findet in München nun statt, was das Transrapid-Konsortium selbst „die letzte Chance“ der Technik in Deutschland nennt. Ab 2011 soll die Magnetbahn dort Hauptbahnhof und Flughafen über 37,4 Kilometer in zehn Minuten ohne Halt miteinander verbinden. Oberbürgermeister Christian Ude, seine Münchener SPD und viele Anrainer wehren sich gegen diese Pläne. Manche preisen als bessere Variante eine gewöhnliche Expreß-S-Bahn mit nur ein paar Stationen an; billiger wäre sie gewiß.
Was ist der Transrapid wirklich wert?
Verkehrsplaner argumentieren, eine ICE-Anbindung brächte dem Flughafen für die Einbindung in sein Einzugsgebiet viel mehr. Diesen Herbst soll die Entscheidung fallen. Der Konsortialpartner Thyssen-Krupp stieß vergangenen Montag die Todesdrohung aus - man werde die Transrapid-Technik aufgeben und an chinesische Lizenznehmer verkaufen, wenn das Münchener Projekt nicht positiv entschieden werde.
Den Deutschen waren alle Vorhaben zu teuer, so war jetzt in vielen Rückblicken zu lesen, die der Transrapid seit vorgestern in der Presse anhäuft. Aber die Kosten allein entscheiden ja nicht. Es gibt eine Unmenge von teureren Vorhaben, vom Schiffahrtskanal über ICE-Strecken und Autobahnen bis hin zur Beschaffung von U-Booten und Abfangjägern. Was also ist der Transrapid wert? Sind wir zu dumm, um die Magnetbahn über eine selbstgebaute Strecke doch zum Welterfolg zu machen? Oder aber zu klug, als daß wir uns diese Technik ans Bein bänden?
„Die schönste Erfindung, seit es Subventionen gibt“
Die Kritiker des Transrapid halten ihn für „die schönste Erfindung, seit es Subventionen gibt“. Der Vorteil seines hohen Tempos - 501 Kilometer pro Stunde wurden auf der Betriebsstrecke in Schanghai schon erreicht - sei mittlerweile stark geschrumpft, wo der ICE dritter Generation zwischen Köln und Frankfurt 330 Kilometer pro Stunde fährt und der französische TGV in der nächsten Stufe Tempo 360 erreichen soll. Der Transrapid, so die Kritik, lasse sich kaum in das vorhandene Schienennetz integrieren und tauge allenfalls als Nischenprodukt, etwa als Verbindung zweier Ballungsräume, zwischen denen es noch keine modernen Schienenwege gibt.
Doch wo gibt es so etwas in Deutschland? Das Transrapid-Konsortium sieht hinter solchem Widerstand vor allem eine Art Bahnmafia, die ein eingespieltes System verteidigt mit all den lukrativen Industrieaufträgen, die daran hängen. Die Magnetbahn ist in diesem Bild der junge Revolutionär; da es ihm an Betriebserfahrung mangelt, muß er seine theoretischen Vorteile in den Vordergrund stellen. Die meisten von ihnen leiten sich davon ab, daß eine Magnetbahn ihren Fahrweg unterwegs nicht berührt. So entfällt etwa der Verschleiß bei Rad und Schiene, der vor allem dem schnellen Fernverkehr hohe Kosten beschert.
Erbittertes Ringen um Hamburg-Berlin-Projekt
Der Antrieb des Transrapid zieht ihn bei Bedarf auch eine zehnprozentige Steigung hinauf - daran ist bei der Eisenbahn nicht entfernt zu denken. Wie der Vergleich in puncto Streckenbaukosten ausfällt, ist hingegen schon unklar. Die Hersteller versichern, der Transrapid sei da 30 Prozent günstiger, der Chef von Alstom in Frankreich sprach 2002 einmal von generell den doppelten Kosten gegenüber herkömmlichen Gleisen. So geht es bei vielen Details. Wer eine gerechte Bewertung anstrebt, kommt um das Studium der bereits vorliegenden Zahlen also nicht herum.
Am besten dokumentiert sind die Pläne für eine Magnetbahnstrecke von Hamburg nach Berlin über 300 Kilometer. Die Bundesregierung nahm sie 1992 in den Bundesverkehrswegeplan auf. Nach der Vereinigung standen solche Optionen ja plötzlich offen - die ideale Verbindung zweier Ballungsgebiete, denen eine leistungsfähige Schienenachse fehlte. Züge von Hamburg nach Berlin waren damals vier Stunden unterwegs. Der Transrapid sollte kaum eine Stunde brauchen. Fast ein Jahrzehnt wurde um das Projekt erbittert gerungen.
Konzept faul, Konsorten steigen aus
Der Bund wollte fast zwei Drittel der Investitionen übernehmen und stellte dazu drei Milliarden Euro in Aussicht - fast soviel wie er heute pro Jahr ins konventionelle Schienennetz investiert. Das restliche Drittel sollte ein Konsortium aus Industrie, Deutscher Bahn und Banken aufbringen. Das Finanzierungskonzept (Preisstand 1993) verhieß jährliche Einnahmen von rund 600 Millionen Euro; nach Abzug von Betriebskosten und Kreditbedienung blieb ein Überschuß von rund 150 Millionen.
Irgend etwas war faul an diesem Konzept. Erst stiegen einige Konsorten aus, schließlich kippte Hartmut Mehdorn das Projekt im Februar 2000, kurz nachdem er Chef der Deutschen Bahn AG geworden war. Er befand im Spitzengespräch beim Bundesminister, das Konsortium könne seine Investitionen allenfalls in einem Vierteljahrhundert zurückverdienen. Das paßte nicht mit dem Finanzplan zusammen, der die Investitionen des Konsortiums in zehn Jahren wiedereinzuspielen versprach.
Nicht einmal 20 Prozent der geplanten Fahrgastzahlen
Tatsächlich hatte das Transrapid-Konsortium den Schwebezug gnadenlos schöngerechnet. Da der Bund auf dem festen Zuschuß bestand, hätten die Konsorten die Folgen ihrer Kalkulation aus eigener Tasche bezahlen müssen. Statt der 4,5 Milliarden Euro Investition des Finanzplans schätzten unabhängige Gutachten die Baukosten bereits auf 7,5 bis 10 Milliarden. Ebenso rechnete die Planung ursprünglich mit 14,5 Millionen Fahrgästen pro Jahr auf der Strecke, also 20 000 pro Fahrtrichtung jeden Tag. Inzwischen läßt sich der Realismus dieses Entwurfs gut einschätzen.
Denn der ICE heute, der jede Stunde fährt und auch nach anderthalb Stunden am Ziel ist, erreicht nicht einmal 20 Prozent dieser Fahrgastzahlen. Der Preis des Transrapid-Tickets hätte laut Plan ein Drittel über dem Durchschnittserlös der 1. Klasse im Zug liegen sollen. Die Rückfahrkarte Hamburg-Berlin in der Spitzenverkehrszeit hätte im Durchschnitt 250 Euro gekostet. Irgendwie muß damals bei der Einschätzung der Zahlungsbereitschaft des Durchschnittsreisenden der Verstand ausgesetzt haben.
Abschreckung durch 1,85 Milliarden Errichtungskosten
Wie sehen denn eigentlich die Zahlen in Schanghai aus, möchte man fragen? China jedoch sieht das Projekt als Imagefrage einer Hochtechnologie-Nation und wird uns deshalb nicht mit einer transparenten Nachkalkulation beglücken. In diesem Licht wäre das Projekt in München ja vielleicht ergiebiger, obwohl es Interessenten auch wieder nur eine Flughafenanbindung vorführen würde. Doch was wären die vorzeigbaren Erkenntnisse? Schon die 1,85 Milliarden Euro geplante Errichtungskosten würden Interessenten eher abschrecken als anziehen. Der Plan sieht allein fünf Kilometer der Strecke als Untergrundbahn vor. Das Projekt in Bayern würde als erstes zudem belegen, daß von der Vertragsunterzeichnung bis zur Aufnahme des Probebetriebs üblicherweise nicht zwei Jahre vergehen, wie es in Schanghai war, sondern fünf oder mehr.
Und die Refinanzierung? In das Angebot der Verkehrsverbindungen an den Münchener Flughafen - vom Bus über zwei S-Bahnen bis zum Taxi - stieße der Transrapid mit Fahrpreisen in einer Größenordnung, die nur betuchte Leute bezahlen würden. Und auch das nur, wenn ihr endgültiges Ziel in unmittelbarer Umgebung des Hauptbahnhofs liegt. Wenn sie noch in S- oder U-Bahn umsteigen, laufen oder Bus fahren müssen, dann setzen sie sich gleich in ein Taxi. Die Mehrheit der Fahrgäste würde wohl weiterhin die herkömmlichen Verbindungen nutzen.
„Systemtechnische Risiken“ eines Projekts
Zudem hat die Finanzierung der Münchener Transrapid-Strecke noch große Lücken. Von mindesten 930 Millionen Euro ist noch nicht bekannt, wo sie herkommen sollen. Private Investoren sind offenbar nicht bereit einzusteigen. Bayern und der Bund ringen mit sich und miteinander. Ein im Juni aufgetauchtes „Eckpunktepapier“ der Spitzenbeamten beider Seiten sieht eine Verdoppelung der bisher geplanten Einsätze von beiden Seiten vor und will so die Lücke schließen. Die öffentliche Hand soll es also wieder richten, aber die Minister haben ja bisher nicht unterschrieben.
Es wird nun kaum bei den vorgesehenen Kosten bleiben. In Deutschland sind bei Großprojekten dieser Art Budgetüberschreitungen bis zur doppelten Höhe gängig - aus banalen Gründen: Planungsfehler, nicht vorhersehbare Umstände, renitente Umweltschützer, die den Rechtsweg ausschöpfen, oder bewußte Schönfärberei, also Unterkalkulation von Auftragnehmern, die erst einmal den Fuß für den Auftrag in die Tür bekommen wollen. Das Eckpunktepapier enthält unter Ziffer 3f einen Passus, der die „systemtechnischen Risiken“ des Projekts dem Steuerzahler zuordnet. Das ist eine Art Lizenz zur Kostenexplosion. Die sogenannte Informationsasymmetrie zwischen Industrie und Politik (einer kennt sich aus, der andere kaum) garantiert, daß Kostenüberschreitungen immer möglichst als systembedingt deklarierbar sein werden.
Strecke bringt jährlichen Verlust von 200 Millionen
Für realistische Erwartungen einer Kostenzunahme darf man auf die ICE-Strecke zwischen Köln und Frankfurt verweisen. Sie sollte zunächst zwei Milliarden Euro kosten. Als sie in den Bundesverkehrswegeplan von 1992 aufgenommen wurde, waren es schon drei Milliarden. Die Nachkalkulation durch die Bundesregierung ergab schließlich 5,1 Milliarden. Bisher brausen über diese Strecke nur halb so viele Fahrgäste wie 1992 vorausgesagt. Gegenüber der Planung sind die Investitionen pro Fahrgast also auf das Vierfache geklettert. Der prognostizierte Nutzen ist also auf ein Viertel zusammengeschrumpft. Schlimmer noch, obwohl die Strecke überwiegend aus Steuermitteln bezahlt wurde, fährt sie heute bei der DB Netz AG einen jährlichen Verlust von 200 Millionen Euro ein. Und das ist noch maßvoll. Die Nachkalkulation der ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt-München, die ab Dezember für planmäßige Züge offen ist, wird noch übler ausfallen.
Wie dieses Beispiel auch zeigt - und viele andere ließen sich anführen -, setzen nicht nur die Transrapid-Anhänger auf hochoptimistische Szenarien, um ihre Pläne ausführen zu können. Um so spannender zu sehen, daß ausländische Magnetbahn-Interessenten mit der Ausnahme von China bisher beim kühlen Blick blieben.
Das Rollgeräusch geht im Lärm des Fahrtwindes unter
Dem deutschen Erfindergeist kann also letztlich nur eine strategische Betrachtung helfen. Als systematische Studie des Vergleichs traditioneller Schienentechnik mit neuer Schwebetechnik hat sie jedoch noch nie stattgefunden. Mehr als ein paar wichtige Eckpunkte über die bereits erwähnten Eigenschaften hinaus lassen sich hier daher kaum festhalten.
Wenn es um Streckenneubauten geht, ist Lärm das Thema Nummer eins für die Anrainer und damit für eine Genehmigung. Das Geratter der Eisenbahn, das den Magnetbahn-Erfinder Kemper so störte, gibt es nun nicht mehr. Gerattert wird auf Schienenstößen, heute sind die Schienen verschweißt. Doch das Rollgeräusch der Räder bleibt. Und hier spielt bei einem Tempo zwischen 250 und 300 Kilometer pro Stunde der natürliche Vorteil des räderlosen Transrapid keine Rolle mehr. Dann geht das Rollgeräusch im Lärm des Fahrtwindes unter. Hinzu kommt, daß die heutigen Werte nicht die strategischen Möglichkeiten widerspiegeln. Am ICE läßt sich da noch viel tun, auch beim Rollgeräusch; die Bahntechniker schätzen, daß ein Gleichstand des Geräuschpegels schon ab 200 Kilometer pro Stunde möglich wäre. Die scheinbar windschnittige Form des ICE täuscht den Laien. Am Unterboden herrscht selbst bei der neuesten Generation dieser Züge aerodynamisches Elend.
Ökologisch wie ökonomisch fragwürdig
Auch für den Energieverbrauch gibt es solche Abschätzungen. In der Systemrechnung ergeben sich da wunderliche Effekte. Das magnetische Schweben des Transrapid kostet viel Energie, und um diesen Verbrauch auch zu belohnen, muß er gefälligst schnell flitzen. Beim ICE hingegen kostet das Stehen nichts, und der Rollwiderstand steigt etwa proportional mit der Geschwindigkeit an. Aus den Berechnungen läßt sich ableiten, daß der Transrapid energietechnisch erst ab zirka 300 Kilometer pro Stunde Vorteile erringt.
Doch durch den exponentiell wachsenden Luftwiderstand fressen solche Geschwindigkeiten bei jedem Verkehrsmittel viel Energie und sind daher ökologisch wie ökonomisch fragwürdig. Die Grenze zur Unvernunft bei der Bahn ließe sich mit etwas Willkür bei 230 Kilometer pro Stunde ziehen. Bis dahin können Züge auf vielen Altstrecken fahren, ohne daß man den Abstand zwischen den beiden Gleisachsen vergrößern muß. Bei höherem Tempo können sich Züge dort nicht mehr gefahrlos begegnen. Mit 230 Spitze lassen sich bei der heutigen Dichte der Haltepunkte im deutschen Fernnetz Durchschnittsgeschwindigkeiten von 150 Kilometer pro Stunde erzielen, und allein auf die Durchschnittsgeschwindigkeit kommt es für die Passagiere an. Studien zufolge sitzen die meisten nur für eine bis drei Stunden im Fernzug und steigen dann aus oder um. Ihnen ist mit dichteren Anschlüssen viel mehr gedient als mit Schnellverkehr.
Fehlinformationen naiv oder interessengeleitet?
Wahrheiten über Ökonomie und Ökologie des Verkehrs verlangen also meist detektivische Hartnäckigkeit. Das Schön- und Falschrechnen ist so verbreitet, daß man keinem Vergleich glauben sollte, wenn nicht einheitliche Maßstäbe garantiert sind. Die Bahn ließ in Vergleichsrechnungen zum Autoverkehr einst auch schon mal die heftigen 60 Prozent Energieverlust weg, den sie durch die Umwandlung von Kohle in Strom mittels Kraftwerken erleidet. Eine Studie, die all das einbezog, kam 1998 auch für den Nahverkehr der Bahn auf ein Energieäquivalent von 7,2 Liter Benzin pro 100 Personenkilometer.
Alle Werte, ob für Transrapid oder Zug oder Flugzeug, lassen sich allein durch andere Bestuhlung, durch die Einrechnung eines Speisewagens oder durch ähnliche Tricks um bis zu 100 Prozent nach unten oder oben manipulieren. Ob Fehlinformationen nur naiv oder aber interessengeleitet entstehen, spielt keine große Rolle. Bei echten Investitionsrechnungen kommen sie so oder so meist schmerzhaft ans Licht.
„Systematisch von der Realität abgeschottet“
Der Soziologe Franz Büllingen veröffentlichte 1997 seine vielbeachtete Dissertation über den Werdegang des Transrapid. Danach hat ein Netzwerk von Industriemanagern und Lobbyisten das Magnetbahnprojekt „systematisch von der Realität abgeschottet“, früh geäußerte verkehrspolitische Kritik beiseite geschoben und eine eigene Ideologie entwickelt - die der „Geschwindigkeitslücke“ zwischen Bahn und Flugzeug. Die Geschäftsleute, die morgens irgendwohin und abends zurück wollten, waren die Zielgruppe. Aber mit dieser Klientel einen Transrapid wirtschaftlich zu betreiben war schon vor 20 Jahren eine Illusion.
Wie es mit der Konkurrenzfähigkeit einer Magnetbahn auf deutschen oder europäischen Magistralen beim breiten Publikum aussieht, läßt sich auch schnell erahnen. Man halte die eingeplanten Ticketpreise aus dem Vorhaben Hamburg-Berlin, rund 125 Euro in eine Richtung, gegen den durchschnittlichen Ticketpreis des führenden Billigfliegers Ryanair mit Stand Juni 2006: 46 Euro pro Flug. Auch extrem hohe Steuern aufs Flugbenzin würden dem Transrapid kein Auskommen garantieren.
Der wahre Fluch des Transrapid
Es ist fast verzweifelt nach anderen Einsatzgebieten für die Magnetbahn gesucht worden. Alle Machbarkeitsstudien führten zum gleichen Ergebnis: zu teuer fürs Geleistete, nicht vernünftig ins vorhandene Eisenbahnnetz zu integrieren. Die Alternative, die vorhandene Eisenbahn zu modernisieren und zu erweitern, führte zu einer sehr viel günstigeren Relation aus Preis und Leistung. Die Schiene zieht dabei natürlich den Nutzen aus den Unsummen an Investitionen, die ihr weltweit schon zugeflossen sind.
Wenn ein neues System wie der Transrapid antritt, muß es diese Steigung eben überwinden. Mit einigem Pech könnte der faszinierende Transrapid als Technik aber auch zu früh dran sein. Gehört er statt ins 21. doch ins 22. Jahrhundert? Oder stößt er auf natürliche Grenzen, wie sie Concorde, Spaceshuttle oder Kugelhaufenreaktor erleben? Wenn womöglich chinesische Firmen die Magnetbahn gegen solche Beschwernis zum Erfolg treiben können, kann man sie nur beglückwünschen. Nachher werden wir klüger sein. Das ist der wahre Fluch des Transrapid.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24.09.2006