Geordneter Ausstieg
Transrapid» Bund und Bayern versichern, den Transrapid in München bauen zu wollen. Doch jetzt naht das Ende des Vorzeigeprojektes.
Transrapid-Prototyp
Wenn es einen Strohhalm gäbe, Erwin Huber würde nach ihm greifen. Mittwoch vor Ostern etwa las der bayrische Wirtschaftsminister in der Zeitung, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und EU-Industriekommissar Günter Verheugen (beide SPD) hätten gemeinsam ein Plädoyer für den Transrapid vom Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen gehalten. „Wir stehen kurz vorm Durchbruch“, sagte sich der CSU-Politiker.
Doch noch fehlt viel Geld, und weder der Bund noch Bayern zeigen sich bereit, diese Lücke zu schließen – auch auf die Gefahr hin, dass das Projekt scheitert. Tiefensee will aus seinem Etat 550 Millionen Euro beisteuern, den überwiegenden Betrag der 1,85 Milliarden Euro teuren Strecke soll aber Bayern selbst aufbringen. „Der Transrapid ist ein Landesprojekt mit industriepolitischer Bedeutung“, stellt Tiefensee klar. „Der Schlüssel liegt in Bayern.“
Huber sieht das ganz anders. „Die 550 Millionen Euro waren nie ein ernst zu nehmendes Angebot“, wettert er. „Der Bund hat noch 2,3 Milliarden Euro im Haushalt stehen, die für Transrapidstrecken vorgesehen sind“, rechnet er vor. „Mindestens die Hälfte davon sollte für die Münchner Strecke freigeben werden.“
Während der Bund und Bayern um ihre Finanzierungsanteile rangeln, drängen die Deutsche Bahn AG und die Transrapidbauer von ThyssenKrupp und Siemens: Bis zur Jahresmitte müsse die Finanzierung stehen, länger könnten sie nicht warten. Komme bis dahin keine Lösung zu Stande, drohten das Aus für München und der Ausverkauf der Technologie. Im Zweifel könnte das Know-how nach China verkauft werden, wo der Zug seit 2003 in Shanghai schwebt.
Mehr als fünf Jahre schieben sich der Bund und Bayern die Verantwortung für den Transrapid zu. Denn klar ist: Wer sie übernimmt, muss auch das Gros der auf 1,85 Milliarden Euro angewachsenen Kosten für die 38 Kilometer lange Transrapid-Strecke zahlen – fast 50 Millionen pro Kilometer. Ein höherer Zuschuss sei „grundsätzlich nicht ausgeschlossen“, heißt es zwar versöhnlich in Tiefensees Umfeld. „Allerdings muss zunächst der Freistaat Farbe bekennen.“ Die Bayern aber, so scheint es, wollen sich schrittweise zurückziehen. „Wir sind bereit, 185 Millionen zu zahlen“, sagt Huber – bisher waren es 210 Millionen. Bundespolitiker wie den verkehrspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Uwe Beckmeyer, bringt das auf die Palme: „Der Bund hat sich erklärt, mehr gibt es nicht“, kontert er.
So lief es bisher immer: Industriepolitisch interessant sei die Technik, hieß es immer, wurde es konkret, war der Transrapid zu teuer und unwirtschaftlich. Als Signal der Wiedervereinigung wollte Helmut Kohl den Zug von Hamburg nach Berlin schweben lassen, Wolfgang Clement dem Land Nordrhein-Westfalen mit einem Metrorapid ein modernes Gesicht geben.
Aus beidem wurde nichts – die große Chance für Ministerpräsident Edmund Stoiber, den Transrapid als Vorzeigeprojekt für bayrische Technologieführerschaft zu realisieren. Inzwischen ist die Verbindung München Flughafen–Hauptbahnhof als Referenzstrecke die letzte Chance, die Technologie weltweit zu vermarkten.
Doch die Begeisterung für die Transrapid-Technik ist auch in Bayern angesichts der Haushaltszwänge verebbt. Zwar hat das Land die Deutsche Bahn AG mit der Umsetzung beauftragt. Sie soll die Strecke planen, bauen und 20 Jahre lang betreiben. Inzwischen läuft das Planfeststellungsverfahren. An der Haushaltslage ändert das nichts, und so sinkt auch Stoibers Elan.
Selbst vor Ort gibt es nur wenig Begeisterung. Die oppositionelle SPD sieht erst gar keinen Nutzen durch eine schnelle Transrapid-Verbindung zum Flughafen. „Der Transrapid ändert nichts an der fehlenden Fernverkehrsverbindung“, kritisiert Franz Maget, Chef der Bayern-SPD. „Wer aus Niederbayern oder der Oberpfalz kommt, hat nichts davon.“ Auch der Münchner Oberbürgermeister, Christian Ude (SPD), winkt ab und will lieber eine Express-S-Bahn.
Nur: Dafür würde Bayern keine Bundesmittel zusätzlich bekommen wie beim Transrapid. Bei einer Express-S-Bahn, die etwa 800 Millionen Euro kosten würde, oder einer Regionalbahn müsste das Land aus den laufenden Bundeszuweisungen Geld abzweigen und damit andere Verkehrsprojekte im Land streichen.
Problematisch ist aber nicht nur die Finanzierung des Baus, sondern auch des Betriebs. Im vergangenen September hatte die Bahn „Wirtschaftlichkeits- und Finanzierungsszenarien“ erstellt und kam zu dem Ergebnis, dass nur im besten Fall 2015 Gewinne von 32 Millionen Euro erzielt werden, im schlechtesten Fall dagegen Verluste von fast zehn Millionen. Konkrete Zahlen, so die Bahn, könnten aber erst vorgelegt werden, wenn die Planfeststellungsbeschlüsse vorlägen.
Jetzt aber geht es darum, dass die Bahn überhaupt weiter planen kann. Denn das Geld geht aus, wie Bahnchef Hartmut Mehdorn kürzlich in einem Brief an Tiefensee offenbarte. 148 Millionen Euro sind bis Ende 2006 vorgesehen, von denen bisher nur 44 Millionen Euro, vor allem von Bayern, geflossen sind. Nun soll der Bund 50 Millionen Euro freigeben, ansonsten drohe eine Projektunterbrechung. Eigentlich aber verlangt der Bund erst das komplette Finanzierungskonzept, als Kompromiss soll jetzt das Wirtschaftlichkeitsszenario der Bahn herhalten. Verhandlungen mit Bayern über eine entsprechende Vereinbarung laufen seit Monaten – bisher ohne Erfolg.
Vor allem soll Bayern endlich mehr Geld bereitstellen, denn die Münchner Beamten haben dazu selbst gegenüber den Bundesbeamten die Vorlage gegeben. Anfang des Jahres taxierten sie den Nutzen für Verkehr, Regionalwirtschaft und Industriepolitik auf 530 Millionen Euro. Minister Huber beharrt jedoch darauf, 185 Millionen zu zahlen, und hofft, dass die Bahn 185 Millionen Euro aus den Betriebsgewinnen beisteuert und die EU ebenso viel.
Im Tiefensee-Ministerium rechnet man allerdings „im besten Fall“ mit 100 Millionen Euro von der EU. Und wenn überhaupt, dann fließen Betriebsgewinne erst, wenn der Zug schwebt. Auch die 100 Millionen Euro, die nach Hubers Rechnung die Industrie zuschießen soll, sind mehr als unsicher. „Eine Beteiligung der Industrie befindet sich nicht in der Diskussion“, heißt es bei Transrapid International, dem Vermarktungsunternehmen von ThyssenKrupp und Siemens. Dort hält man auch an der Technologie fest. „Die technologischen Kernkompetenzen werden weiterhin von Deutschland geliefert.“
Die Lobbyisten von ThyssenKrupp und auch die des Trassenbauers Bögl dagegen warnen Politiker im Bund und in Bayern vorm Ausverkauf. Auch Tiefensees Beamte schließen nicht aus, „dass die Systemindustrie ohne zeitnahe Realisierungsperspektive in Deutschland ihren Rückzug aus der Technik erklärt“. Die Chinesen jedenfalls setzen derzeit alles daran, um an die letzten Geheimnisse des Schwebezuges zu kommen. Bis 2010 wollen sie ihre Strecke in Shanghai bis ins 160 Kilometer entfernte Hangzhou verlängern. „Wenn wir bis dahin den Zug nicht in Deutschland gebaut haben, ist die Technologie endgültig weg“, prophezeit der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Horst Friedrich. Mehr als 30 Jahre Forschung und Milliarden Euro Steuergelder wären verloren.
Wenn er schließlich doch gebaut würde, käme er aber nicht wie geplant 2010. „Wenn der Bau gut gemanagt wird, können wir die Strecke 2011 eröffnen“, sagt Huber. Dazu müsse das Projekt aber ohne Gerichtsverfahren genehmigt und binnen vier Jahren gebaut werden. Im Tiefensee-Haus rechnen die Experten mit einem Start nicht vor 2012. Dennoch: „Entweder wir bauen ihn jetzt, oder es gibt einen geordneten Ausstieg“, heißt es dort.
Auch Minister Huber denkt schon über den Tag nach, an dem der Traum vom bayrischen Transrapid platzt und die CSU sich dafür rechtfertigen muss.: „Wir werden auf jeden Fall darstellen können, dass es an uns nicht gelegen hat.“
[25.04.2006] daniel.delhaes@wiwo.de (Berlin)
Aus der WirtschaftsWoche 17/2006.