Großer Bahnhof
von Jens Tartler, Claudia Wanner und Tillmann Prüfer, Berlin
In zwei Wochen eröffnet in Berlin eines der größten Verkehrsbauwerke der Welt: Der neue Hauptbahnhof. Die Deutsche Bahn erwartet dort doppelt so viele Fahrgäste wie am Bahnhof Zoo, dem bisherigen Hauptterminal für Zugreisende nach Berlin. Zudem rechnet die Bahn mit jeder Menge Einkaufsbummlern in den Geschäften der Station. Skeptiker bezweifeln jedoch, dass sich der Gigant an der Spree jemals bezahlt machen wird.
Der neue Berliner HauptbahnhofWer künftig in Berlin die Züge wechselt und plötzlich das Bedürfnis bekommt, ein Weichtier aus der Schale zu schlürfen, dem kann geholfen werden. Schließlich gibt es Diekmanns Austernbar. Danach kann man sich mit meeresfrüchtegefülltem Magen an die Brüstung aus siebenfach verleimter Rotbuche lehnen und sich dem erhebenden Gefühl hingeben, über der Politik zu stehen: Der neue Hauptbahnhof ist 46 Meter hoch und "damit höher als das nahe gelegene Bundeskanzleramt (36 Meter Höhe)", freut sich die Bahn in einer Präsentation.
Am 26. Mai, wenn der größte Kreuzungsbahnhof Europas in der Mitte der Hauptstadt eröffnet wird, kann Angela Merkel sich selbst davon überzeugen, dass der Neubau ihren Regierungssitz in den Schatten stellt. Zur Eröffnungsfeier steht eine Rede der Kanzlerin auf dem Programm. Das Ganze wird gekrönt von einer furiosen Lightshow. Mit Projektionen auf die Fassade und illuminierten Zügen. Hany Azer, der Bauleiter des Projekts, triumphiert: "Dann richtet die Deutsche Bahn die ausgefallene WM-Gala aus."
Sogar zwei Bischöfe werden vorbeischauen, um für den Hauptbahnhof um Gottes Segen zu bitten. Den kann er brauchen. Denn so alt wie die Planung für den Superbau ist der Ärger darum. Das nach Bahn-Terminologie "Symbol für das zusammenwachsende Europa" ist so groß, dass es sich kaum auslasten lässt, und so teuer, dass es rätselhaft ist, wie es sich jemals rechnen soll.
Genaue Zahlen
Schätzungsweise 700 Mio. bis 1 Mrd. Euro soll das Schmuckstück gekostet haben, genaue Zahlen nennt die Bahn nicht. Für den Bau der 321 Meter langen gläsernen Halle wurden 9117 Scheiben einzeln angefertigt, weil der Bahnhof in einer Schienenkurve liegt. Sechs Panorama-Aufzüge gleiten durch fünf Ebenen. Etwa 500.000 Quadratmeter Beton wurden verbaut - so viel benötigt man auch für 65 Kilometer Autobahn. Dass es eines solchen Monstrums nicht bedurft hätte, um die Berliner besser auf die Schiene zu setzen, gibt selbst der aus Ägypten stammende Bauleiter Azer zu: "Wenn Sie mich fragen, ob ich den Bahnhof heute noch mal so bauen würde, sage ich Nein. Das war der Eifer nach der deutschen Einheit." Er habe nur das geliefert, "was die Politiker bestellt haben".
Bestellt wurde 1993 nicht weniger als das "bedeutendste Bahnhofsbauwerk des Jahrhunderts", wie Berlins damaliger Bausenator Wolfgang Nagel schwärmte. Und das Ursprungskonzept war noch bedeutender als der Bau, der nun eröffnet wird. Bahn-Chef Hartmut Mehdorn hat nach Kräften gestutzt: So sollte die Glashalle noch 60 Meter länger sein, damit kein Passagier im Regen stehen muss. Mehdorn verwarf auch die Idee, auf den Bahnsteigen hölzernes Parkett verlegen zu lassen. Die vorgesehene gewölbte Decke im Tiefbahnhof ersetzte der BahnChef durch eine profane Flachdecke - worüber er sich mit dem Architekten Meinhard von Gerkan so zerstritt, dass dieser es offen ließ, ob er zur Eröffnungsfeier erscheinen wird.
Dennoch ist am Spreebogen eine wahre Schienenkathedrale entstanden - und hätte die Bahn nicht 1200 Lautsprecher eingebaut, wäre es darin auch entsprechend klerikal still. Denn wie die Konstruktion mit Menschen zu füllen ist, ist völlig unklar. "Der Bahnhof ist für die nächsten 50 Jahre konstruiert und gebaut worden," meint ein Bahn-Sprecher. In der Gegenwart steigen am Bahnhof Zoo täglich 150.000 Leute ein und um. Am neuen Hauptbahnhof sollen es vom Start weg doppelt so viele sein. "Das wird der zentrale Ein- und Umsteigebahnhof", erläutert man bei der Bahn das wundersame Wachstum. "Da werden viele auch wegen der Architektur, wegen des Bauwerks kommen."
Fahrgastansturm erwartet
Die Bahn erhofft einen wahren Fahrgaststurm auf Berlin. Im Fernverkehr soll die Zahl der Reisenden bis 2010 auf 19 Millionen im Jahr anwachsen, sechs Millionen mehr als heute. Das können Bahn-Experten schwer nachvollziehen. Zwar erwarte man mehr Bahnreisende in den kommenden Jahren, sagt Christfried Tschepe, Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbands IGEB. "Sehr skeptisch sind wir allerdings, dass der Zuwachs in der Größenordnung ausfällt, wie ihn die Bahn prognostiziert."
Anmerkung: Eindeutig sichtbar ist das die meisten Gelder derzeit nach Berlin gehen, nicht nur die staatlichen Gelder. Denke Berlin hat auch die besten Chancen auf eine Transrapid-Verbindung. Dafür wird schnell mal eine zusätzliche Mr.D. Euro bereitgestellt. Dank der Verhinderer in Bayern!!!