wenn ein Pilot oder Copilot aus irgendeinen Grund ausfällt (muss ja nicht gleich das schlimmste sein...) sollte dann nicht der nächste erreichbare Flughafen angeflogen werden?
MFG
Mannerl
eine gute und absolut berechtigte Frage.
Um es mit meinem Wissensstand zu beantworten (lass mich gern korrigieren) ein klares Jein
Im Falle der Continental ist es eindeutig. Der Kapitän ist leider verstorben und es bedarf keiner schnellen medizinischen Hilfe mehr. Es sind zwei voll ausgebildete Piloten an Bord die beide reichlich Erfahrung auf B777 haben. Die einzig richtige Entscheidung lautet weiterfliegen zum vertrauten Ziel- und Heimatflughafen.
Interessant wird die Frage erst wenn der Kapitän nicht verstorben wäre, sondern sofortige medizinische Hilfe -ohne einen Arzt an Bord- notwendig gewesen wäre. Ein immenser Druck baut sich bei den beiden verbliebenen Piloten auf den Flieger saspo an einen geeigneten enroute alternate zu bringen. Nicht ganz einfach eine Maschine, unter eventuell widrigen Wetterbedingungen, sicher nach Keflavik oder bspw. Kangerlussuaq (Sondrestrom) zu bringen. Auch wenn es im Simulator trainiert wird...
Immer eine Abwägung die Gefährdung nicht unverhältnismässig zu erhöhen.
Richtig unangenehm wird es aber erst bei einer unverstärkten Langstrecke. Also bei einer Langstrecke bis gut 4000Nm und nur zwei Piloten!
Alles schon vorgekommen. Auch bei einer grossen dt. Airline von Frankfurt an die US Ostküste.
Ohne jetzt auf jedes Detail eingehen zu können:
Kurz nach 30W (relative Mitte der Atlantiküberquerung) und 3:20H Flugzeit fiel der Kapitän gesundheitsbedingt mit Krämpfen komplett aus. Was dabei im Kopf eines F/O vor sich geht kann man wohl nachvollziehen. Seine größte anfängliche Sorge das der Cpt. nicht unkontrolliert in die Ruder tritt.
Über Cabin Interphone wurde ein FB ins Cockpit gerufen um den Cpt. gemeinsam mit den Schultergurten zu sichern und seinen Sitz zurück zu fahren. Es wurde die Purserette informiert um einen Arzt auszurufen.
Zwei Ärzte versuchten den Cpt. wieder zu Bewusstsein zu bringen was jedoch misslang. Man brachte ihn nun in das Crewrest Compartement.
Bewusst wurden die Passagiere nicht informiert. Einige FC Paxe bemerkten natürlich das etwas im Cockpit vor sich ging.
Aufgrund der Position von 62N35W kam für eine Zwischenlandung nur Keflavik oder eben Kangerlussuaq in Frage. Wind in BIKF Keflavik 140/30G45, also heftig und von der Seite. BGSF CAVOK.
Der F/O entschied sich aufgrund der x-wind Komponente spontan nach Grönland weiterzufliegen. Zumal er Kangerlussuaq vier Wochen zuvor im SIM angeflogen hatte. Trotzdem alleine ein sehr anspruchsvolles Unterfangen ohne weitere Redundanz im Cockpit.
Zur Unterstützung nahm ein FB auf dem CM1 Sitz Platz. Der F/O wurde laufend über den Gesundheitszustand des Kapitäns informiert.
Die Kommunikation mit Gander via SELCAL und CPDLC wurde etabliert und nun Kontakt mit der Verkehrszentrale via Sat-phone und weiteren company Flugzeugen in der Nähe über 123.45 und 131.75 für weitere Entscheidungshilfen aufgenommen.
Eine große Erleichterung gab es für den Kopiloten mit der Nachricht, dass der Cpt. in keinem lebensbedrohenden Zustand sei.
Somit fiel bei ihm auch die Entscheidung an die ihm bekannte und vertraute Destination weiter zu fliegen, anstatt mit einer deutlich höheren Arbeitsbelastung an einen nicht vertrauten Alternate zu diverten.
Kollegen bestärkten ihn über Funk in seiner Entscheidung. Das Wetter am Zielort war gut und Treibstoff ausreichend vorhanden.
Der F/O erklärte im OTS zunächst keine Luftnotlage und sprach im weiteren Verlauf auch via Sat-phone mit seiner Flottenführung. Luftnotlage wollte er später über VHF Com erklären da es zum jetzigen Zeitpunkt im OTS kommunikativ erschwert, nicht viel gebracht hätte.
Die Arbeitsbelastung stieg sprunghaft an, da neben den navigatorischen Aufgaben wie Positioncheck und auch Fuelcheck die zusätzlichen organisatorischen und kommunikativen Tätigkeiten ohne weitere Redundanz dazu kamen.
Beim Einflug in den kanadischen Luftraum erklärte der F/O mit Pan Pan Luftnotlage und erhält eine Freigabe direkt zum Anflugfix des Destination-Airports. Weitere Unterstützung wurde ATC seitig zwar angeboten, der F/O bat jedoch lediglich um priority und um die längste zur Verfügung stehende Bahn bei der Landung.
Der Kapitän kam langsam wieder zu Kräften und wollte verständlicherweise wieder ins Cockpit was der F/O in Absprache mit den Ärzten aber zunächst ablehnte. (Alles unglaublich schwierige Entscheidungen die in keinem Handbuch stehen, denn ein erneuter Blackout bei der Landung wäre nicht auszuschliessen) Nach weiteren Untersuchungen durch die Ärzte ließ man den Cpt. dann aber wenigstens auf den Observerseat ins Cockpit.
Die Purserette suchte auf ihrer PIL (Passenger information list) nach eventuellen Piloten oder anderen geeigneten Personen die im Cockpit Unterstützung leisten könnten. Fündig wurde sie im Leiter eines Simulatorzentrums der B744 Sim Erfahrung hatte und im Besitz eines PPL war. 1,5 Std. vor der Landung sollte er zur Unterstützung nach vorne kommen. Nun kam noch ein kleines aber wesentliches 'menschliches Problem' hinzu, da der F/O vor über 3 Std. das letzte Mal austreten war...
Geschickt wurde es gelöst indem alle -auser ihm- kurz das Cockpit verliessen.
Der F/O als CM2 und nun pilot in command briefte nun ausführlich seinen Cpt. und den auf dem CM1 Sitz befindlichen Simulatorleiter.
ATC bat trotz vorheriger Absprache mehrmals um einen Anflug auf die kürzere Bahn was der F/O kategorisch ablehnte.
Anflug und Landung verliefen völlig problemlos. In 200 ft wurde der Autopilot ausgeschaltet und von Hand gelandet um schnell beim ersten möglichen highspeed TWY abrollen zu können.
Fazit des F/O:
"Das System funktioniert! Was mir die Arbeit enorm erleichtert hat, war das selbständige, zielorientierte Arbeiten der Kabinencrew, der Kontakt mit den Kollegen über VHF, der Support der Flotte die mir in jedem Moment Handlungsfreiheit eingeräumt hat, die Bereitschaft von ATC alle Requests zu erfüllen, sowie die Unterstützung der Station vor Ort.
@Mannerl
wie gut zu erkennen ist kann es nur Richtlinien geben, Entscheidungen können letztendlich nur im Cockpit getroffen werden.